Ein Beispiel aus dem Automo- bilbau: Nach einer Änderung an der Motorenlinie sind Teile, die verschraubt werden sollen, schwer zu erreichen. Stress wäre bei dieser Tätigkeit auf Dauer die Folge und unergonomisches Arbeiten wäre eine körperliche Belastung. Daher reagiert der Automobilhersteller: Ein kollaborierender Roboter, auch Cobot genannt, übernimmt den Teil der Arbeiten, den die Beschäf- tigten ansonsten in ungünstiger Körperhaltung hätten durch- führen müssen. „Gerade für Arbeitsplätze mit manueller Tätig- keit eignen sich die kompakten Roboter, um den Menschen zu entlasten“, erklärt Dr. Matthias Umbreit, Robotik-Experte der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM). Die Cobots übernehmen lästige Routinearbeiten sowie un ergonomische Tätigkeiten. Dazu zählen Überkopfarbeiten oder Tätigkeiten, die den Rücken und den Bewegungsapparat belasten, wie das Heben und Ablegen von Teilen. Zudem helfen kleine Roboter, effizienter zu arbeiten. Sie agieren präzise und sind flexibel. Die Krux an der Sache kennt Dr. Michael Huelke, Leiter des Referats Grundlagen, Methoden und Softwarelösungen am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfall- versicherung (IFA): „An solchen Arbeitsplätzen sind Mensch und Cobot zur selben Zeit im selben Bereich tätig.“ Sie können sich also buchstäblich in die Quere kommen. Biomechanische Grenzwerte. Die enge Zusammenarbeit birgt die Gefahr, dass es zu ungewollten Kontakten kommt. Etwa wenn der Mensch in den Wirkungsbereich des Roboter- arms eingreift, um eine neue Palette an Werkstücken einzule- gen. „Sollte ein Zusammenstoß passieren, gilt es, Verletzun- gen zu vermeiden“, erklärt Huelke. Um die Sicherheit zu gewährleisten, muss der Roboter taktile Sinne besitzen. Mit dieser Technik „spürt“ er, wenn es mit dem Menschen zu einer Berührung und zu einem ge- wissen Gegendruck kommt. Dann wird die Geschwindigkeit sofort verringert oder die Bewegung ganz gestoppt. Welche biomechanischen Grenzwerte relevant sind, haben die DGUV und die BGHM mit Unterstützung des IFA erforscht – auch mit echten Testpersonen. Gemeinsam mit der Uniklinik Mainz und dem Fraunhofer Institut ermittelte das IFA, ab welchem Druck und welcher Kraft der Mensch beginnt, Schmerz zu empfinden. Die Ergebnisse wurden von der internationalen Normierungs- organisation ISO in die Spezifikation ISO TS 15066 „Roboter und Robotikgeräte – Kollaborierende Roboter“ übernommen. Risiko- und Gefährdungsbeurteilung. Die in den Forschungs- projekten ermittelten biomechanischen Grenzwerte dürfen bei einem Kontakt zwischen Robotersystem und Mensch ) 3 ( t o h P 2 p p a Z / k c o t s r e t t u h S : r e d l i B nicht überschritten werden. „Diese Grenzwerte bilden heute einen Maßstab, der bereits jetzt bei der Konstruktion von Cobotsys- temen einzuhalten ist“, betont Umbreit. Primär sind die Gren- zwerte wichtig für Unternehmen, die kollaborierende Systeme bauen. Aber auch für die späteren Betreiber- firmen und deren Sicherheitsbeauftragte sind die Grenzwerte dauerhaft ein Thema, weil sich Kräfte und Drücke durch Neuprogrammierung, Teilewechsel oder Verschleiß ändern können. Die Hersteller von Cobotsystemen haben eine Risikobeur- teilung vorzunehmen. Bei dieser müssen neben dem Robo- ter auch Werkzeuge, Vorrichtungen und Bauteile einbezogen werden. Der Anlagenbetreiber wiederum ist verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Sicherheitsbeauftragte, die die jeweiligen Gefährdungen vor Ort kennen, können ihr Wissen hierbei gut einbringen. Ansonsten gelten die üblichen Regeln für Maschinenarbeitsplätze: Nur CE-konforme Anlagen dürfen in Betrieb genommen werden. Die CE-Kennzeichnung besagt, dass das Produkt nachweislich allen geltenden euro- päischen Vorschriften entspricht. Zudem sind die Beschäftig- ten mit den besonderen Gefährdungen und Verhaltensregeln vertraut zu machen. Sie müssen wissen, wie sie sich in Not- situationen zu verhalten haben, und müssen Fluchtwege, Stol- perstellen sowie Programm- und Bauteiländerungen kennen. Wie sich Anlagen mit den Funktionen Leistungs- und Kraftbegrenzung planen lassen, zeigt die DGUV Informa- tion FB HM-080 „Kollaborierende Robotersysteme“: dguv.de → FB HM-080 „Kollaborierende Robotersysteme“ Informationen zu biomechanischen Grenzwerten liefert das IFA: dguv.de Webcode: d130153 Spielerisch Vertrauen aufbauen Dr. Matthias Umbreit empfiehlt, im Betrieb ein breites Be- wusstsein für die neue Technologie zu erzeugen. Er rät zu so- genannten Spielstunden, in denen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ungezwungen mit den Cobots auseinander- setzen können. Sie sind eine Ergänzung zur Unterweisung, um Wissen, Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen. 25 arbeit & gesundheit 5|2020