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In der Werkshalle für Ruhe sorgen
Gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) macht die Heberndorfer Leistenfabrik das sichere und gesunde Arbeiten zum Thema. © Oliver Killig

Arbeitssicherheit : In der Werkshalle für Ruhe sorgen

Die Heberndorfer Leistenfabrik nutzt verschiedene Taktiken, um in ihren Werkshallen für mehr Ruhe zu sorgen.

Wer sich dem kleinen Ort Heberndorf nähert, einem Ortsteil der Stadt Wurzbach in Thüringen, entdeckt gleich am Ortseingang ein modernes Fabrikgebäude mit schwarz-weißer Fassade. Erster Eindruck: Hier ist alles tipptopp. Auf den Parkplätzen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, am Werkstor und in der Zentrale der Heberndorfer Leistenfabrik, kurz HLF, wirkt alles ruhig. Tatsächlich geht es im Inneren der Produktionshallen zum Teil ziemlich laut zu. So laut, dass das menschliche Gehör Schaden nehmen würde, wenn es dem Lärm dauerhaft ausgesetzt ist.

Also Gehörschutzstöpsel rein und gut? Nicht ganz. Für Peter Luge, der den Betrieb seit fünf Jahren vonseiten der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) betreut, ist die HLF ein Vorzeigebetrieb in Sachen Lärmschutz. Zusammen mit der HLF-Geschäftsführung hat der Diplom-Ingenieur zu einem Rundgang eingeladen. „Die Lärmschutzmaßnahmen sind auch auf andere Betriebe übertragbar“, erklärt Luge.

Wie immer in solchen Fällen steht hinter den Maßnahmen eine Geschäftsführung, die sich aktiv mit Sicherheit und Gesundheit in ihrem Betrieb beschäftigt. Im Fall der HLF ist das Christian Horn. Er erklärt: „Ohne gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter läuft nichts. Deshalb geben wir beim Arbeitsschutz richtig Gas.“ Hierbei – und beispielsweise bei der Gefährdungsbeurteilung – wird die Betriebsleitung durch Maik Rzoska unterstützt. Er ist Fachkraft für Arbeitssicherheit. Die Sicherheitsbeauftragten sind ebenfalls wichtige Ansprechpersonen vor Ort – auch beim Thema Lärmschutz.

Ab 80 Dezibel ist Gehörschutz Pflicht

Lärm entsteht bei der HLF vor allem beim Fräsen der Profile, zumal wenn die langen Leisten klappernd in Bewegung kommen. Aus Holzfaserplatten werden zunächst Zuschnittsleisten gesägt, dann wird die Oberfläche bearbeitet und ein bestimmtes Profil eingefräst. Zum Schluss werden die Leisten mit einer Dekorfolie ummantelt. „Unsere Firma ist beim Endkunden kaum bekannt. Aber mit 450 verschiedenen Profilen und über 3.500 unterschiedlichen Standard-Dekoren sind unsere Leisten weltweit in Baumärkten und Möbelhäusern zu finden. Wir fertigen maßgeschneidert und nur auf Bestellung, inklusive Befestigungssystemen und Verpackung“, erklärt Geschäftsführer Horn.

Beim Betreten der hellen Fertigungshalle wird sofort klar, warum hier Gehörschutztragepflicht besteht: Es ist laut. Ab 80 Dezibel muss das Unternehmen Gehörschutz zur Verfügung stellen, ab 85 Dezibel sind die Beschäftigten verpflichtet, ihn zu tragen. Wer sich weigert, könnte sogar abgemahnt werden. Aber bei allen HLF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern ist ein Gehörschutz zu sehen.

Verschiedene Gehörschutzarten stehen zur Wahl

Die Fachkraft für Arbeitssicherheit, Maik Rzoska, berichtet:

„Wir haben hier insgesamt sieben Sicherheitsbeauftragte, das ist ein gutes Netzwerk innerhalb des Betriebs. Sie unterstützen unter anderem bei den regelmäßigen Arbeitssicherheitsrundgängen und Unterweisungen.“

Die Auswahl und das Anlegen des Gehörschutzes sind Teil der Unterweisungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Wahl zwischen verschiedenen Gehörschutzarten. „Das war früher nicht so“, erzählt Thomas Kreis. 1997 kam der gelernte Gießereifacharbeiter zur HLF. Im Rohleistenbereich ist er seit 23 Jahren tätig – und dort der Sicherheitsbeauftragte. „Manche mögen die handlichen Stöpsel, andere nehmen lieber die ‚Mickymäuse‘.“ So heißen umgangssprachlich die Kapselgehörschützer, die viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen. Sobald sie den Lärmschutzbereich verlassen, wird diese Persönliche Schutzausrüstung (PSA) locker in den Nacken geschoben.

Der Sicherheitsbeauftragte hat sich selbst für Gehörschutzstöpsel entschieden, die er einfach in die Tasche steckt, beispielsweise wenn er in die Pause geht. Inzwischen bietet die HLF auch Gehörschutzstöpsel an, die mit Schnüren verbunden sind. „Die kommen gut an“, erzählt Rzoska, der die Neuerung angestoßen hat. Eine vierte Gehörschutzvariante wird derzeit von Hans-Peter Jung erprobt, der als Betriebsleiter ständig zwischen lauten und leisen Bereichen wechselt: die Otoplastik. Dieser Gehörschutz wird individuell angepasst und direkt in der Ohrmuschel getragen.

Bei dieser Auswahl gibt es keine Ausrede mehr, dass jemand mit der PSA nicht klarkommt. „In meinem Bereich gilt immer die Tragepflicht“, berichtet Kreis. „Inzwischen haben sich alle daran gewöhnt und ich muss nur ab und zu einmal jemanden ansprechen, der zu Arbeitsbeginn oder nach der Pause den Schutz nicht gleich parat hat. Diskussionen darüber gibt es aber nicht.“ Das unterstreicht auch Betriebsleiter Jung: „Das Thema Gehörschutz tragen wir bei Unterweisungen immer wieder in die Belegschaft hinein und es ist bei allen angekommen.“

Krachmacher eingehaust und umgerüstet

Die gut acht Meter lange Profilieranlage gehört trotz des jungen Baujahres 2013 zu den „Krachmachern“: Hier treffen unüberhörbar Metall und Holz aufeinander. Zu den technischen Lärmschutzmaßnahmen gehört, dass die Anlage komplett eingehaust ist. „Doch wenn ich sie einrichte, wird es besonders laut“, erklärt Kreis, „weil ich dann die Umhausung öffne.“ Als organisatorische Lärmschutzmaßnahme führt er diese Arbeit bei geschlossenen Hallentoren durch und zu einem Zeitpunkt, wo sich möglichst wenige Menschen in der Nähe aufhalten. „Tätigkeiten, die nicht unmittelbar mit der Produktion verbunden sein müssen, wurden ausgelagert“, erklärt Jung eine weitere organisatorische Lärmschutzmaßnahme. „Für das Lager und den Versand haben wir sogar am anderen Ende angebaut. Das ist jetzt kein Lärmbereich mehr.“ Damit kommt bei der HLF das TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes zum Tragen: Zunächst werden technische (T) und organisatorische Schutzmaßnahmen (O) getroffen. Reicht das nicht aus, kommen persönliche (P) wie die Gehörschutztragepflicht dazu.

Gefahr durch Gewöhnung

Wenn man im Lärmbereich unterwegs ist, gewöhnt man sich schnell an den hohen Geräuschpegel. Genau darin liegt die Gefahr. Denn das Gehör nimmt trotzdem Schaden. Anders als bei den Augen, die sich durch den Lidschluss vor zu hellem Licht reflexartig schützen, hat der Gehörgang keine Möglichkeit, sich abzuschotten. Die darin liegenden Haarzellen sterben immer mehr ab, wenn sie langjährig hohe Geräuschpegel aushalten müssen.

Den Betroffenen fällt es meist zu spät auf, dass sie schlechter hören. „Dann ist der Hörverlust nicht mehr zu reparieren“, stellt Luge klar. „Erst dann wird den Menschen bewusst, wie wichtig dieser Sinn für ihre Lebensqualität ist.“ Auch ein Hörgerät ist bei Lärmschwerhörigkeit kein Allheilmittel, denn es korrigiert den Hörschaden nicht so wie beispielsweise eine Brille eine verminderte Sehleistung. Gesprächen im Freundes- und Familienkreis nicht richtig folgen zu können, Musik nur noch teilweise zu hören – das sind die Folgen im Alltag. Im Job kommen noch Sicherheitsaspekte dazu: Wichtige Anweisungen oder Warnsignale könnten überhört werden, sodass Gehörgeschädigte sich und andere in Gefahr zu bringen drohen. Dass durch Lärm bedingte Schwerhörigkeit keine Randerscheinung ist, zeigt ein Blick in die Statistik der DGUV: Fast 7.000 Menschen wurde allein im Jahr 2019 bestätigt, dass sie aufgrund ihrer Berufsausübung schwerhörig sind. Peter Luge von der BGHM macht darauf aufmerksam, dass es für den Erhalt des Gehörsinns egal ist, ob Lärm beruflich oder privat „auf die Ohren kommt“. Laute Musik nach Feierabend schädigt ebenfalls das Gehör.

Lärm an der Quelle bekämpft

Thomas Kreis hat soeben die Anlage angehalten und gewährt einen Blick ins Innere. Unter der seitlichen Abdeckung ist die Lärmquelle zu sehen: Die Universalspindel ist mit Messern gespickt, die in unterschiedlichen Winkeln einschwenken und die programmierten Profile in die Leiste fräsen. „Mit den beweglichen Hartmetallmessern fertigen wir in einem Arbeitsgang komplexe Profile. Früher konnten wir die Leisten nur im rechten Winkel bearbeiten, sodass mehrere Durchgänge notwendig waren“, erklärt Betriebsleiter Jung, der einst Tischlermeister gelernt und später Betriebswirtschaftslehre studiert hat. Außerdem mussten die langen Hölzer gedreht werden. Das Fräsen der Leisten verursachte erheblichen Lärm. Jung verdeutlicht, wie laut das war: „Bei offenen Hallentoren wäre das in ganz Heberndorf zu hören gewesen.“ Das hat sich geändert, seit ein Fräskopf aus dem härtesten Material in Aktion ist: Diamant. Der Fräskopf wurde bei HLF in Abstimmung mit dem Werkzeughersteller selbst entwickelt. Er fräst geräuschärmer und kann zudem die Leisten aus allen möglichen Winkeln bearbeiten, wodurch das Bewegen der Leisten entfällt. Statt auf Werte von 139 Dezibel kommen die Lärmspitzen nun auf 122 Dezibel. Der Dauerlärm wurde von 96 auf 87 Dezibel gemindert. Lärmschutz ist weiterhin notwendig, jedoch: „Das ist ein deutlicher Unterschied. Viel weniger stressig“, begrüßt der Sicherheitsbeauftragte Kreis die Lärmreduzierung in seinem Bereich. Und Jung ergänzt: „Theoretisch könnte jede Fabrik, die diese Anlagen einsetzt, ihre Werkzeuge entsprechend optimieren. Aber es ist nicht ganz einfach und man muss es wollen, da es sehr kostenintensiv ist und sich bei Kleinmengen der Mehrpreis des Diamantwerkzeugs nicht lohnt.“

Christian Horn will es. Dem Geschäftsführer ist Arbeitsschutz wichtig. Er sieht das aus persönlicher Verantwortung so, aber auch weil er Sicherheit und Gesundheit für einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit hält. Seit fast 30 Jahren führt die Familie das Unternehmen in Thüringen – mit Erfolg. „Wir haben uns das Vertrauen seitens der Industrie sowie des Handels erarbeitet. Es zahlt sich aus, dass wir in allen Bereichen optimal aufgestellt sind – auch in Sachen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.“

Autorin: Miriam Becker

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