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Starker Rücken, starke Pflege
Lifter heben bewegungseingeschränkte Personen aus dem Bett. Pflegekräfte schonen mit solchen Hilfsmitteln ihren Rücken. © David Spaeth

Arbeitssicherheit : Starker Rücken, starke Pflege

Pflegekräfte leisten körperlich harte Arbeit. Hilfsmittel helfen dabei, dass sie sich dabei nicht übernehmen. Auch die Selbstfürsorge gilt es zu stärken.

Der Geruch von Kaffee liegt in der Luft. Gedämpftes Stimmengewirr und Klappern von Geschirr durchdringen die Flure. Es ist kurz nach 9 Uhr und die Seniorinnen und Senioren von Station 1 des Seniorenzentrums Gustav-Werner-Stift sitzen gemütlich beim Frühstück. Auch unter den Pflegekräften der Station macht sich jetzt Entspannung breit. Der erste Kraftakt des Tages liegt hinter ihnen.

Dieser begann gut zwei Stunden zuvor: Ab halb sieben werden die Bewohnerinnen und Bewohner, die gerne früh aufstehen, geweckt. Dann folgen nach und nach alle anderen, die für das Frühstück ihr Bett und Zimmer verlassen können beziehungsweise wollen. Für die Beschäftigten heißt das: zwei Stunden lang Personen aufrichten, in Bewegung bringen, waschen und ankleiden. Insbesondere das Aufrichten und Umsetzen pflegebedürftiger Personen – etwa von der Bettkante auf den Toilettenstuhl oder vom Bett in den Rollstuhl – ist für das Pflegepersonal herausfordernd. Die Belastung kann die persönlichen Kräfte übersteigen und so ihren Gelenken und der Wirbelsäule schaden.

Gut zu wissen

Wichtige Stütze: die Wirbelsäule

Falsches Heben, Bücken oder Ziehen schadet der Wirbelsäule – genauer: den Bandscheiben. Eine starke Rückenmuskulatur, moderate Belastung sowie Phasen der Regeneration beugen Rückenerkrankungen vor.

Seitenansicht einer Wirbelsäule. Drei Wirbel, die von einer Bandscheibe getrennt werden. Rechts befinden sich das Rückenmark und der Spinalnerv.

Die Wirbelsäule besteht unter anderem aus Wirbelkörpern, Bandscheiben, Nerven und dem Rückenmark Illustration: raufeld

Zusammengestauchte Bandscheibe zwischen zwei Wirbeln der Wirbelsäule

Illustration: raufeld

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Die Bandscheibe ist ein elastisches Polster, das die Wirbelsäule beweglich hält und einwirkende Kräfte gleichmäßig verteilt. Bei Belastung verformt sich die Bandscheibe. Unter Umständen wölbt sie sich so weit in Richtung Rückenmark, dass sie auf einen Nerv drückt. Resultat: Hexenschuss oder Verspannungen. Besonders schmerzhaft ist ein Bandscheibenvorfall.

Mobilitätshilfen unterstützen Pflegekräfte bei Transfers von Personen

„Körperliche Belastungen in der Pflege treten vor allem bei Transfers auf“, erklärt Bettina Kern. „Wenn das nicht ausreichend geschult ist, wird viel falsch gemacht. Und das kann auf den Körper schlagen.“ Die studierte Pflegefachkraft arbeitet seit 13 Jahren im Gustav-Werner-Stift. Das Seniorenzentrum ist eine von vielen Einrichtungen der Stiftung BruderhausDiakonie, die sich unter anderem in den Bereichen Alten-, Behinderten- und Jugendhilfe engagiert. Das Gustav-Werner-Stift befindet sich in Friedrichshafen.

Hier ist Kern unter anderem als Ausbildungskoordinatorin tätig. Sie achtet darauf, dass Schülerinnen und Schüler von Anfang an rückengerecht arbeiten, etwa indem sie die bereitgestellten Mobilitätshilfen wie Personenlifter, Exoskelette und Rutschtücher nutzen. Mobilitätshilfen sind technische Hilfsmittel, die die Pflege und den Transfer bewegungseingeschränkter Personen vereinfachen. Einige dieser Hilfen werden elektrisch angetrieben, andere nutzen die Muskelkraft der zu bewegenden Personen. Die Hilfsmittel entlasten die Pflegekräfte. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, dass die Mobilität der Seniorinnen und ­Senioren erhalten bleibt.

Die erfahrene Pflegefachkraft Bettina Kern achtet als Ausbildungskoordinatorin darauf, dass Azubis rückengerecht arbeiten. © David Spaeth

Wissen um rückengerechtes 
Arbeiten regelmäßig auffrischen

Im Gustav-Werner-Stift stehen Lifter, Rutschtücher und andere Mobilitätshilfen auf jeder Station bereit. Ob die Beschäftigten sie nutzen, ist eine andere Frage. „Damit sie es tun, achten wir darauf, dass das Pflegepersonal das Wissen um rückengerechtes Arbeiten und um die Hilfsmittel immer wieder auffrischt“, erzählt Mathias Kaupp. Seit 2019 hat er im Seniorenzentrum die Pflegedienstleitung inne. Bei seinen regelmäßigen Rundgängen schaut Kaupp, ob die Hilfsmittel im Einsatz sind. „Es kommt schon mal vor, dass Pflegekräfte eine Person schnell durch eigene Kraft bewegen, statt den Lifter zu holen. Wenn ich das sehe, weise ich sie darauf hin, wie wichtig rückengerechtes Arbeiten ist.“

Regelmäßig an die richtige Arbeitsweise zu erinnern, ist auch Bettina Kern wichtig. Ob es Nachschulungsbedarf gibt, zeigt sich unter anderem bei der sogenannten Pflegevisite. Dabei begleiten verschiedene Verantwortliche eine Pflegekraft und beobachten, wie sie eine Bewohnerin oder einen Bewohner pflegt. „Wir schauen nicht nur, ob zum Beispiel Hygienestandards eingehalten werden, sondern auch, ob die Kollegin oder der Kollege rückengerecht arbeitet. Welche Hilfsmittel die Person nutzt, ob sie sich das Pflegebett auf Arbeitshöhe hochfährt und wie sie sich bückt“, nennt Kern einige Beispiele. Im nachgehenden Gespräch wird erörtert, was die Pflegekraft besser machen könnte und wie die Leitung sie dabei unterstützen kann.

Pflegedienstleiter Mathias Kaupp wirkt 
gemeinsam mit der Heimleitung darauf hin, die Selbstfürsorge der Beschäftigten zu stärken. © David Spaeth

Sicherheitsbeauftragte geben wichtige Informationen weiter

Auch Sicherheitsbeauftragte machen sich im Gustav-Werner-Stift für die Gesundheit ihrer Kolleginnen und Kollegen stark. In jeder Einrichtung der BruderhausDiakonie gibt es mindestens zwei – sie kommen in der Regel aus den Bereichen Pflege und Haustechnik. Dieser Kompetenzmix hat sich bewährt.

Markus Höfler legt großen Wert auf die Perspektive der Sicherheitsbeauftragten auf den Arbeitsschutz. Höfler ist Fachkraft für Arbeitssicherheit und arbeitet in der Zentrale der Stiftung in Reutlingen. Regelmäßig setzt er sich mit den Sicherheitsbeauftragten zusammen. „Meine Hauptansprechpersonen sind die Führungskräfte. Aber ich bin auch sehr daran interessiert, die Meinung von Sicherheitsbeauftragten zu hören und sie über Neuerungen zu informieren. Gibt es beispielsweise neue Angebote oder Schulungen, sind Sicherheitsbeauftragte gute Multiplikatoren, um diese Informationen weiterzugeben“, erklärt Höfler. Auch helfen sie ihm dabei, „hinter die Fassade“ zu schauen. „Ich frage regelmäßig: Wie läuft die Arbeit? Werdet ihr einbezogen? So erhalte ich einen guten Eindruck davon, ob der Arbeitsschutz wirklich gelebt wird.“

Sicherheitsbeauftragter Rolf Nusser geht mit offenen Augen durch die Einrichtung, um Unfallrisiken aufzuspüren. © David Spaeth

SiFa und Sibe unterstützen sich gegenseitig

Einer der Sicherheitsbeauftragten im Gustav-Werner-Stift ist Rolf Nusser. Seit vielen Jahren ist er hier als Hausmeister tätig und kennt die Einrichtung in- und auswendig. Als Sicherheitsbeauftragter achtet er insbesondere auf Unfallquellen wie herumliegende Kabel, die schnell zur Stolperfalle werden können. 
Dabei hat er ein Auge fürs Detail – und immer einen Spruch auf den Lippen. „Wenn Beschäftigte mal schnell auf einen Drehstuhl steigen, um an Materialien zu gelangen, rufe ich ihnen zu, ob sie auch den Salto mortale mit doppelter Drehung beherrschen. Die wissen dann sofort, dass sie besser eine richtige Aufstiegshilfe verwenden sollten, und verhalten sich künftig sicherer“, erzählt Nusser lachend. Dank seiner lockeren Art und seiner handwerklichen Fähigkeiten wird er von Führungskräften, Kolleginnen und Kollegen sehr geschätzt.

Regelmäßig spricht Nusser mit anderen Verantwortlichen der BruderhausDiakonie, etwa mit der Sicherheitsfachkraft Markus Höfler. „Ich berichte zum Beispiel, welche aktuellen Themen es bei uns gibt und wie die Zusammenarbeit mit der Einrichtungsleitung läuft. Dadurch erhält Herr Höfler einen besseren Einblick, wie die Situation bei uns in der Einrichtung tatsächlich ist“, so Nusser.

Die Einrichtung setzt auch Exoskelette ein. Sie werden im Rahmen eines Pilot
projekts getestet. © David Spaeth

Impulse

Rückengerecht 
arbeiten – das können Sicherheitsbeauftragte tun:

  1. Auf vorhandene Hilfsmittel wie Lifter und Rutschtücher aufmerksam machen und daran erinnern, sie zu verwenden.
  2. An die Unterweisung zur richtigen Anwendung von Hilfsmitteln und zur rückengerechten Arbeitsweise erinnern.
  3. Übungen zur Stärkung der Rückenmuskulatur empfehlen, die auch zwischendurch ausgeführt werden können.
  4. Für die Bedeutung von Vorsorge sensibilisieren, etwa für die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung G 46 „Muskel-Skelett-System“.
  5. Ansprechpersonen kennen und vermitteln sowie selbst ein offenes Ohr für die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen haben.

Informationen über Schulungen in Kinästhetik, Entspannung und Selbstfürsorge weitergeben, zum Beispiel ein Plakat zum richtigen Heben und Halten aushängen.

Bewegungsabläufe trainieren, Selbstfürsorge stärken

Auf Station 1 ist das Frühstück beendet. Einige Seniorinnen und Senioren sitzen zusammen und sprechen über Märchen. Andere sind auf ihren Zimmern. Für viele Pflegekräfte geht es jetzt an die Behandlungspflege. Trotz technischer Hilfsmittel kommen Pflegekräfte dabei nicht umhin, eigene Kraft einzusetzen, wenn sie bewegungseingeschränkte Personen pflegen.

Damit sich die Belegschaft bei manuellen Tätigkeiten nicht übernimmt, setzt das Gustav-Werner-Stift auf das Mobilisationskonzept der Kin­ästhetik. Dieses umfasst verschiedene Techniken, die das Zusammenspiel zwischen der pflegenden und der pflegebedürftigen Person fördern. „Dabei nimmt man die Energie des Gegenübers auf und nutzt sie, um sich selbst zu entlasten“, erklärt Bettina Kern. Kraftintensive Tätigkeiten wie Heben oder Ziehen vermeidet die Kinästhetik, ebenso ruckartige und schwungvolle Bewegungen, unter denen der Rücken leidet. „Unsere Pflegekräfte können entsprechende Kurse kostenfrei besuchen und die Techniken erlernen“, so Kern.

Rückenschmerzen müssen jedoch nicht unbedingt eine Folge körperlicher Belastung sein. Sie können auch psychische Gründe haben. Denn Stress und psychische Belastung führen häufig zu einem hohen Grundspannungszustand der Muskulatur (Muskeltonus) sowie zu Verspannungen. Diese Verspannungen können schmerzen. Wollen Pflegeeinrichtungen den Rücken ihrer Beschäftigten gesund halten, sollten sie psychische Belastungen nicht unterschätzen.

Gut zu wissen

Darunter leidet
der Rücken:

  • Heben und Tragen schwerer Lasten mit untrainierter Muskulatur
  • Langes Verharren in einer Körperhaltung und/oder einseitige Belastung
  • Zu wenig Bewegung 
bei der Arbeit und in 
der Freizeit
  • Ständig gebeugter 
Oberkörper oder 
häufiges Bücken
  • Ruckartige, schwung­volle Bewegungen
  • Hohe Muskelspannung durch Leistungs- und Zeitdruck
  • Arbeitsunzufriedenheit und daraus resultierende psychische 
Belastungen

Hilfsangebote zur 
Rückengesundheit in der Pflege

Kosten für Entspannungs- und Sportkurse trägt anteilig das Unternehmen

Stress versucht das Gustav-Werner-Stift mit einer ausgewogenen Personal- und Schichtplanung vorzubeugen. Die BruderhausDiakonie möchte ihre Belegschaft außerdem zu einem achtsamen Umgang mit sich selbst bewegen, ihre Resilienz und Selbstfürsorge stärken. Über ein spezielles Programm können sie in mehr als 5.000 Einrichtungen deutschlandweit Kurse ihrer Wahl besuchen, um etwa Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung zu erlernen.

Für den aktiven Ausgleich können die Beschäftigten auch Fitnessstudios und Sportkurse besuchen. Die Kosten übernimmt die BruderhausDiakonie anteilig. Pflegedienstleiter Mathias Kaupp ist mit diesem Angebot zufrieden: „Manchmal können Azubis, Pflegehelferinnen und Pflegehelfer sich solche Kurse oder das Fitnessstudio nicht leisten. Die Belegschaft achtet mehr auf ihren Rücken seitdem wir Entspannungs- und Sportkurse mitfinanzieren. Viele nutzen sie.“