Arbeitssicherheit : Endspurt im Bauhaus Museum Dessau
Langgestreckt, lichtdurchflutet und völlig frei von störendem Tragwerk: So präsentiert sich die Halle, die das gesamte Erdgeschoss im Bauhaus Museum Dessau einnimmt. Wir haben den 21. Mai 2019 und befinden uns in einem Gebäude, dessen Eröffnung für den 8. September geplant ist. Eine Baustelle also. Allerdings eine, die sich im Endausbau befindet. Wie das fertige Objekt aussehen wird, ist bereits bis ins Detail hinein gut zu erkennen: mit den auf beiden Längsseiten über die gesamte Gebäudehöhe reichenden Glasflächen; und mit der sogenannten Black Box, einem dunkel gehaltenen „Haus im Haus“, das innerhalb der gläsernen Hülle und über unseren Köpfen gleichsam zu schweben scheint. Doch bevor in der Black Box die Ausstellung eröffnet wird, arbeiten noch verschiedenste Gewerke parallel, um den Zeitplan der Fertigstellung einzuhalten. Heute sind beispielsweise Elektroinstallateure vor Ort, ebenso Heizungs- und Lüftungstechniker sowie Trockenbauer.
System für den Durchblick
Matthias Held ist Trockenbauer. Er und seine Kollegen von der Firma Giese aus dem nahegelegenen Coswig installieren gerade mobile Trennwände. Und dazu müssen sie im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus: Fahrgerüste und Hubsteiger sind typische Arbeitsgeräte. Der Umgang mit ihnen will gelernt sein. Zum Beispiel müssen die Beschäftigten wissen, dass je nach Modell und herstellerseitiger Aufbau- und Verwendungsanleitung das Anschlagen mittels einer Persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) vorgeschrieben sein kann.
Einer, der dafür steht, dass alle Bescheid wissen, ist Matthias Held. Er ist seit 25 Jahren in der Firma und übt dort unter anderem die Funktion eines Ersthelfers aus. Und er berichtet auch gleich über eine der besonderen Herausforderungen, die auf der temporären Betriebsstätte Bau zum täglich Brot gehören: „Immer schön den Durchblick behalten! Je nachdem, wie die Arbeiten voranschreiten, sind wir nicht immer mit derselben Belegschaft im Objekt. Da ich hier in Dessau für meine Firma die Funktion des Bauleiters ausübe, habe ich auch die Durchführung der Arbeitsschutzunterweisungen für unsere Beschäftigten übernommen. Ich muss jederzeit genau wissen: Wer kommt wann zum ersten Mal auf die Baustelle? Wo wird die betreffende Person tätig sein? Und davon abgeleitet: Welche Schwerpunkte muss ich bei der Unterweisung setzen? Ohne sorgfältige schriftliche Dokumentation würde da der Überblick schnell verloren gehen.“
Koordinator für die Sicherheit
Dokumentation lautet auch das Stichwort für Steffen Haß. Er ist Mitarbeiter der Dekra Automobil GmbH, Niederlassung Dessau-Roßlau. Anders als der Firmenname vermuten lässt, ist das Unternehmen keineswegs nur im Kfz-Prüfwesen tätig. Der Bausachverständige Haß arbeitet als Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator, kurz SiGeKo. Einmal wöchentlich kommt er zum Bauhaus Museum Dessau und nimmt alles, was nach Gefährdung aussehen könnte, genau unter die Lupe. Seine Beobachtungen fließen in das Baustellenbegehungsprotokoll ein, das den zuvor benannten Ansprechpartnern in den beteiligten Unternehmen vorgelegt wird, zum Beispiel Matthias Held von Giese Trockenbau. Weit über hundert solcher Protokolle sind zusammengekommen, seitdem Steffen Haß zu Baubeginn im Frühjahr 2017 die SiGeKo-Funktion im Auftrag der Stiftung Bauhaus Dessau übernommen hat. „Allerdings besteht Arbeitsschutz keineswegs nur aus Beobachtungen und Dokumentationen“, betont Haß. „Es versteht sich von selbst, dass ich auf Dinge, die so überhaupt nicht gehen, sofort hinweise. Und dann wird das umgehend abgestellt.“
Nur nicht abstürzen!
Der Aussage des SiGeKo pflichtet Uwe Meyer uneingeschränkt bei. Als gesamtverantwortlicher Bauleiter für das Berliner Baumanagement-Unternehmen BAL ist er täglich ab dem frühen Morgen auf der Baustelle, steht sozusagen über den Einzelgewerken, leitet die Baubesprechungen und ist ständiger Ansprechpartner für den SiGeKo sowie die Bauleiter der ausführenden Unternehmen. Letztere sind häufig von ihren jeweiligen Arbeitgebern zugleich als Sicherheitsbeauftragte bestellt. Uwe Meyer erklärt: „Knackpunkte sind die Stellen, wo die Gefahr von Absturzunfällen besteht. Dazu gehören insbesondere die Fahrstuhlschächte, die bis zum Einbau der Aufzüge offen sind.“ Um die Schächte vor Staub zu schützen, sind die Öffnungen mit Vorhängen abgedeckt. Dass es dahinter in die Tiefe geht, ist den angebrachten Warnhinweisen zu entnehmen. Die allein verhindern aber keinen Absturz. Wenn dann das vorgeschriebene Absperrgitter zur Seite gerückt wird, weil es vermeintlich stört, wäre das in den Worten des SiGeKo Haß und des Baumanagers Meyer eine typische Aktion, die „so überhaupt nicht geht“.
Wie ein lebendes Objekt
Das Feedback, das die Gesamtverantwortlichen aus den Einzelgewerken bekommen, ist enorm wichtig, um in einem derart dynamischen Arbeitsumfeld die Sicherheit zu koordinieren. Gleichzeitig tragen die einzelnen Unternehmen jeweils die Verantwortung dafür, dass alle wichtigen Informationen in ihre Belegschaften hineingetragen werden. Zu den Menschen, denen dabei eine entscheidende Mittlerrolle zufällt, gehört Torsten Behrend, Bauleiter und Sicherheitsbeauftragter bei der Caverion Deutschland GmbH. In Dessau sind die Caverion-Mitarbeiter unter anderem für die Installation der Heizungs- und Kältetechnik zuständig. Ein häufiger Arbeitsort für Torsten Behrend und seine Kollegen ist der Verteilerraum, der sich im Untergeschoss – und folglich unter Ausschluss des Tageslichts – befindet. „Unsere Leute sind viel unterwegs, auch in so abgelegenen Winkeln wie diesem hier“, berichtet der Sicherheitsbeauftragte. „Es liegt auf der Hand, dass Wegesicherheit und eine vernünftige Beleuchtung für uns zu den wichtigsten Themen gehören.“ Heute trifft Behrend sich mit Bodo Golchert, einer von vier regional zuständigen Fachkräften für Arbeitssicherheit bei Caverion Deutschland. Golchert und Behrend besprechen den Fortgang der Arbeiten, was dieser für die Sicherheit der Beschäftigen bedeutet und wo vielleicht nachgesteuert werden muss. Bodo Golchert erläutert es bildhaft: „Wenn unser Projektteam zu Baubeginn die Gefährdungsbeurteilung erstellt, ist das zunächst Theorie – ein Stück Papier, so wie es ja auch das Gebäude am Anfang nur als Zeichnung gibt. So eine Baustelle lebt. Es kommen Gefährdungen hinzu, gelegentlich fallen auch welche weg. Wir halten alle Dokumente und die zugehörigen Maßnahmen auf dem neuesten Stand. Gleichzeitig wissen wir als Fachkräfte, dass wir uns auf die Einschätzungen und das Handeln unserer Akteure vor Ort verlassen können.“
Nachhaltig angelegt
Die Arbeit der Akteure vor Ort steht vor dem Abschluss. Mit den Menschen, die das Bauhaus Museum Dessau errichtet haben, werden auch durchtrittsichere Schuhe, Helme, Prüfprotokolle und die allgegenwärtigen Absperrgitter aus dem Objekt verschwinden. Was vom Arbeitsschutz bleibt, sind Einrichtungen, die vorausschauend geplant wurden, um ein sicheres Arbeiten auch beim Betrieb und der Instandhaltung des Gebäudes zu gewährleisten. Als wir zum Ende des Rundgangs auf dem Flachdach stehen und den Blick über Dessau schweifen lassen, erläutert Baumanager Meyer ein solches Beispiel nachhaltigen Arbeitsschutzes: „Alle, die später zu Revisionsarbeiten hier oben tätig sind und sich dabei der Absturzkante auf weniger als zwei Meter nähern, müssen eine PSAgA angelegt haben und diese an einem umlaufenden Metallseil anschlagen.“ Zusätzlich zu den Seilen gibt es an bestimmten Stellen punktförmige Sekuranten zum Anschlagen der PSAgA. „Das Verbindungsmittel des Auffanggurtes muss dabei in der Länge so eingestellt werden, dass diese nicht über die Absturzkante hinausreicht“, ergänzt SiGeKo Haß. Hierfür werden an dem Gebäude bei späteren Arbeiten nur Höhensicherungsgeräte als Verbindungsmittel eingesetzt. Diese ersparen das manuelle Einkürzen des Seils und verhindern Anwendungsfehler, weil eine integrierte Federtrommel das Edelstahlseil automatisch auf Spannung hält. Stürzt eine Person, bremst die Trommel sofort und der Sturz wird bereits nach wenigen Zentimetern aufgefangen. Abstürzen vom Dach? Am Bauhaus Museum Dessau weitestgehend ausgeschlossen.
Die Bauhaus-Idee
Im Jahr 1919 gründete der Architekt Walter Gropius in Weimar eine Kunst-, Architektur- und Design-Schule. Ihr Name lautete schlicht „Bauhaus“. Das dort entwickelte Konzept, Kunst und Handwerk zusammenzuführen sowie Gestaltung von Grund auf neu zu denken, beeinflusst Architektur und Design bis heute. 1925 zog die Hochschule nach Dessau um, oben das Dessauer Bauhaus-Gebäude von 1926. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Idee des Bauhauses als Hochschule neu belebt, und zwar am ursprünglichen Standort: Seit 1954 gibt es in Weimar eine „Hochschule für Architektur und Bauwesen“ und diese heißt seit 1996 offiziell „Bauhaus-Universität Weimar“. Zahlreiche Ausstellungsstücke zur Geschichte des Bauhauses und somit zur modernen Architektur und Gestaltung gibt es seit 1995 im Bauhaus Museum Weimar zu sehen. Zum 100. Geburtstag eröffneten die Bauhaus-Institutionen in den Ländern Thüringen und Sachsen-Anhalt zwei neue Attraktionen: Seit dem Frühjahr 2019 ist der Neubau des Bauhaus Museums Weimar für die Öffentlichkeit zugänglich. Und ab dem 8. September kann das neue Bauhaus Museum Dessau besichtigt werden.