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Arbeitsschutz mit System
Welche Arbeitsschutz-Ziele sollen als Nächstes erreicht werden? Darüber berät bei Eon das Team um Sicherheitsingenieur Ulrich Hank (Mitte). Diskussionsgrundlage ist unter anderem das Unfallgeschehen. © Ralph Sondermann

Arbeitssicherheit : Arbeitsschutz mit System

Ein Arbeitsschutzmanagementsystem verankert Arbeitsschutz fest in die Unternehmens-DNA. So wird damit gearbeitet.

Helle Räume, lange Flure und immer wieder kleine und größere Nischen, die zum Zurückziehen einladen. Wir befinden uns im Unternehmensgebäude von Eon am Standort Essen. Hier ist auch die zentrale HSE-Abteilung des Energiekonzerns angesiedelt. Die drei Buchstaben H, S und E stehen für Health, Safety und Environment, also Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Die mehr als 18 Kolleginnen und Kollegen der HSE-Abteilung tüfteln gemeinsam an der Arbeitsschutzstrategie für die gesamte Eon Gruppe.

Von hier werden Initiativen und Vorgaben für gesundes und sicheres Arbeiten ausgerollt – und zwar europaweit. Sie gelten dann für die Mitarbeiterin in den Energienetzen in Deutschland genauso wie für den Call-Center-Mitarbeiter in Tschechien oder den Installateur von Photovoltaikanlagen in Großbritannien.

Zentrale Vorgaben dezentral ausrollen

Sowohl die Eon Gruppe als auch ihre Gesellschaften haben jeweils eigene HSE-Abteilungen. Zwischen ihnen zu vermitteln, ist Aufgabe von David Urbanek. Er arbeitet seit vielen Jahren im Energiesektor, bekleidete verschiedene Fach- und Führungsrollen, bis er 2017 zum HSE-Team stieß. Seither hat Urbanek einige Zusatzqualifikationen im Bereich Arbeitsschutz absolviert, unter anderem die Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit.

„Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen ‚übersetze‘ ich einerseits die Vorgaben, die der Konzern für den Arbeitsschutz definiert, in die Sprache der Gesellschaften. Andererseits holen wir Anregungen von den Gesellschaften ein, um von ihnen möglicherweise neue, übergreifende Vorgaben für den Arbeitsschutz abzuleiten.“

Damit sieht Urbanek seine Rolle analog zur klassischen Rolle von Sicherheitsbeauftragten. „So wie Sicherheitsbeauftragte die Schnittstelle zwischen Führungskraft und Belegschaft sind, bin ich es zwischen den Gesellschaften und der Group HSE.“

Regelmäßiger Austausch über Maßnahmen, um den Arbeitsschutz im Eon-Konzern zu verbessern, gehört in der HSE-Abteilung zum Alltag. © Ralph Sondermann

Ein Arbeitsschutzmanagementsystem definiert Prozesse

Konzernweit auf sichere Arbeitsplätze und -bedingungen hinzuwirken, ist nicht einfach. Bei rund 72.000 Beschäftigten im In- und Ausland, zahlreichen Gesellschaften und Partnerfirmen sowie unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern ist es eine Mammut-Aufgabe, jeden Arbeitsplatz und jede Tätigkeit im Blick zu behalten. Um sie zu bewältigen, hat das HSE-Team alle Arbeitsschutzprozesse systematisch organisiert.

Darunter fallen beispielsweise Mindestanforderungen für ein effektives HSE-Management, Zielerreichungsprozesse, der Meldeprozess von Beinahe- und Arbeitsunfällen sowie das Risikomanagement. Eine solche Vorgehensweise wird als Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) bezeichnet.

Gut zu wissen

Was ist ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS)?

  • Managementsysteme gibt es für verschiedene Unternehmensbereiche. Ein AMS dient der Steuerung des Arbeitsschutzes. AMS ist für jede Betriebsgröße
    geeignet.
  • Ein AMS bündelt und definiert Vorgaben, Aufgaben und Maßnahmen, die auf ein Ziel hin ausgerichtet sind. Dadurch motiviert es Beschäftigte, Arbeitsschutz systematisch mitzudenken. 
  • Ein AMS soll Arbeitsunfällen systematisch vorbeugen, die Gesundheit von Beschäftigten schützen sowie Risiken mindern.
  • Für AMS gibt es verschiedene Standards, etwa von der UN-Arbeitsschutzorganisation (ILO-OSH 2001) oder von der Internationalen Organisation für Normung (ISO 45001).

Analyse, Ziele, Maßnahmen – das AMS legt die Schritte fest

Wie das funktioniert, zeigt das Vorgehen, wenn das HSE-Team die Arbeitsschutzstrategie für ein neues Jahr festlegt. Gesteuert wird dies von Ulrich Hank, Sicherheitsingenieur und Leiter des HSE-Bereichs für die gesamte Eon Gruppe. Um festzulegen, welche Ziele Eon in puncto Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit erfüllen soll, setzt sich Hank mit vielen Kolleginnen und Kollegen seiner Abteilung zum Jahresende zusammen.

„Am Anfang steht die Analyse des Status quo. Haben sich Unfälle oder Beinahe-Unfälle ereignet, die wir berücksichtigen müssen? Gibt es neue Gesetze oder Richtlinien, die künftig zu erfüllen sind? Oder aktuelle Themen, die wir angehen wollen? Aus unterschiedlichsten Quellen tragen wir Erkenntnisse zusammen“, beschreibt Hank das Vorgehen.

Nach der Analyse werden Ziele definiert sowie Maßnahmen festgelegt, um sie zu erreichen. Diese drei Schritte – Analyse, Ziele, Maßnahmen – gibt das AMS strikt vor, ebenso eine Überprüfung der Maßnahmen nach sechs Monaten. „Wir gleichen dann ab, ob die Maßnahmen zu den gesetzten Zielen beitragen, und justieren gegebenenfalls nach.“

Arbeitsschutzmanagementsystem hat sich langsam etabliert

Eine solch systematische Herangehensweise an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz gab es bei Eon nicht immer. Einen langen Weg hat der Konzern dafür zurückgelegt. „Das hat sich über viele Jahre entwickelt“, sagt Sicherheitsingenieur Rüdiger Rohr. Er ist seit 2005 bei Eon beschäftigt, lebt Arbeitssicherheit mit viel Begeisterung und wechselte nach verschiedenen beruflichen Stationen in den HSE-Bereich.

Der 53-Jährige beobachtete in den vergangenen Jahren zufrieden, wie Arbeitsschutz bedeutender wurde. „Wir haben ein starkes Umdenken unter den Führungskräften erlebt. Diese Entwicklung und Haltung werden von ganz oben mitgetragen. Der Vorstand lebt sie vor, sodass sich Arbeitsschutz mittlerweile durch die gesamte Führungsebene zieht.“ Ein wesentlicher Erfolgsfaktor waren vom Vorstand geforderte HSE-Regelwerke, deren kontinuierliche Weiterentwicklung die Grundlage für das heutige AMS ist.

Mehr gute Beispiele

Weitere Unternehmen, die ein Arbeitsschutzmanagementsystem erfolgreich eingeführt haben, finden Sie unter anderem bei der BG ETEM.

Sicherheitsbeuaftragte können bei AMS unterstützen

Doch AMS ist kein Thema, das allein Führungskräfte betrifft. „Alle Beschäftigten tragen dazu bei, dass ein AMS im Unternehmen praktisch gelebt wird – und so auch Sicherheitsbeauftragte“, weiß Arnd Krüger zu berichten. Er ist AMS-Experte der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM). „Sicherheitsbeauftragte begegnen ihren Kolleginnen und Kollegen auf Augenhöhe.

Zudem sind sie in ihrem Bereich meist sehr erfahren, wodurch sie in der Belegschaft hoch angesehen und akzeptiert sind. Deshalb können sie besonders erfolgreich auf sicheres Verhalten hinwirken. Bei der Einführung und Weiterentwicklung eines AMS ist das Engagement von Sicherheitsbeauftragten deshalb ein wichtiger Beitrag“

Von links nach rechts: David Urbanek, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Rüdiger Rohr, Mitarbeiter im HSE-Bereich und Ulrich Hank, Leiter des HSE-Bereichs bei Eon. © Ralph Sondermann

AMS schafft Dialoge

Mittlerweile ist das AMS bei Eon ein unverzichtbares Instrument. „Mit Hilfe des Arbeitsschutzmanagementsystems schaffen wir es, Tätigkeiten mit Strom genauso zu berücksichtigen wie Arbeiten in der Höhe oder in einem unserer Call-Center“, sagt Rohr. Dabei setzt das HSE-Team auf eine bewährte Strategie: der gemeinsame Dialog mit den Gesellschaften und Fachbereichen. HSE soll alle Bereiche ansprechen, deshalb müssen Richtlinien und Vorgaben für alle verständlich formuliert sein. Nur so ist die Umsetzung garantiert.

Ein Beispiel sind die vier „How we care“-Prinzipien (deutsch: „Wie wir uns kümmern“), die der Konzern als Basis für die Unternehmenskultur definiert hat. „Sie sind praxisnah formuliert und geben Spielraum für die weitere Gestaltung“, so Rohr.D enn auf einer Baustelle sind die Verhältnisse andere als in der Verwaltung: So hat eine Führungskraft in der Verwaltung mit ihrem Team Maßnahmen erarbeitet, um Beschäftigte in Veränderungsprozessen zu unterstützen, die mentale Gesundheit und die Fürsorge füreinander zu stärken.

Rohr sagt: „Mit How-we-care wollen wir alle Mitarbeitenden dafür sensibilisieren, aufeinander achtzugeben und bei Bedarf aktiv einzuschreiten, ohne Nachteile zu erfahren. Sicherheit steht an erster Stelle. Diese Kultur im Konzern dauerhaft zu etablieren, ist unser Ziel.“

„Arbeitsschutz ist zu wichtig, um ihn dem Zufall zu überlassen“

Arbeitsschutzmanagementsysteme (AMS) sollen Unternehmen dabei helfen, ihren Arbeitsschutz systematisch ...

Gut zu wissen

So unterstützt die gesetzliche Unfallversicherung dabei, ein Arbeitsschutzmanagementsystem einzuführen:

  • Unfallversicherungsträger unterstützen, etwa durch Beratung, Projektbegleitung, Schulungen und Begutachtung der Wirksamkeit des AMS.
  • Interessierte Unternehmen können Hilfe bei ihrer Aufsichtsperson oder bei ihrem Versicherungsträger anfragen.
  • Grundlage der Begutachtung ist der Nationale Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme.

Einstieg in das Thema AMS bietet die DGUV-Publikation Arbeitsschutz – mit System sicher zum Erfolg

Drittfirmen durch gemeinsame Unterweisung besser einbinden

Wenn es um Verbesserungen im Arbeitsschutz geht, greift das HSE-Team in Essen auch Anregungen von Beschäftigten auf. „Wir erarbeiten Ziele und Maßnahmen nicht im stillen Kämmerlein, sondern mit unseren Gesellschaften gemeinsam“, sagt Hank. Zum Beispiel entstand aus einem engen Austausch mit den Gesellschaften das Vorhaben, das Partnerfirmenmanagement weiter zu verbessern. Eigene sowie Beschäftigte von Drittfirmen arbeiten in Projekten nicht immer unter identischen Voraussetzungen, was sich auf den Arbeitsschutz auswirken kann.

Daraufhin definierte das HSE-Team das Ziel, auf Baustellen Sicherheitsunterweisungen ab sofort mit Beschäftigten von Eon und Partnerfirmen gemeinsam durchzuführen. Mithilfe des AMS profitiert von einer solchen Verbesserung nicht nur das eine Team, die eine Baustelle oder die eine Gesellschaft, sondern alle, über den gesamten Konzern hinweg.

Auch eine positive Fehlerkultur, so sind Hank, Rohr und Urbanek überzeugt, ist für den Konzern charakteristisch. „Wenn irgendwo ein Unfall oder ein Beinah-Unfall passiert, laufen die Informationen darüber hier zusammen. Die abgeleiteten Maßnahmen gelten dann konzernübergreifend, sodass ähnlichen Vorfällen vorgebeugt wird“, sagt Urbanek.

Apps unterstützen bei Eon den Arbeitsschutz. Führungskräfte dokumentieren beispielsweise ihre Vor-Ort- Gespräche mit Beschäftigten. © Ralph Sondermann

Führungskräfte für Risiken an der Basis sensibilisieren

Als besonders erfolgreiche Maßnahme nennt Rüdiger Rohr die Initiative „Go, See & Talk“ (deutsch: „Geh, sehe und spreche“). Der Idee ging das Feedback voraus, dass sich Führungskräfte aus der Verwaltung und Beschäftigte aus dem operativen Geschäft stärker in einen Dialog treten sollten.

„Deshalb haben wir die ,Go, See &-Talk‘-App eingeführt. Ein Hilfsmittel, das Führungskräfte dazu bewegt, rauszugehen, auf eine Baustelle zu fahren und mit Beschäftigten zu sprechen“, führt Hank aus. Zwölf solcher „Go, See & Talk“-Gespräche muss eine Führungskraft pro Jahr durchführen, so schreibt es das AMS vor.

„Das hat uns wahnsinnig geholfen. Einerseits können Führungskräfte so besser nachvollziehen, welchen Risiken Beschäftigte ausgesetzt sind. Andererseits fühlen sich die Beschäftigten wertgeschätzt“, so Rohr. Dass der „We care“-Gedanke bei Eon keine leere Worthülse ist, merkt man Hank, Rohr und Urbanek an. Leidenschaftlich berichten die drei über den Arbeitsschutz im Unternehmen. Ulrich Hank fasst es so zusammen: „Was uns ausmacht, ist unsere Überzeugung und Motivation, Probleme und Herausforderungen aufzuspüren und sie zu lösen. Und das steckt an. Die Beschäftigten in den Gesellschaften merken, dass wir sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben begleiten und unterstützen – und zwar aus Überzeugung und nicht, weil irgendeine Checkliste abgearbeitet werden muss.“