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Sicherer Umgang mit fahrerlosen Transportfahrzeugen
Die autonomen Transportplattformen sind mit Kameras und Sensoren ausgestattet, die Hindernisse erkennen und dem Fahrzeug signalisieren, wann es stoppen muss. © Volkswagen/ Andreas Fiebig

Arbeitssicherheit : Sicherer Umgang mit fahrerlosen Transportfahrzeugen

Fahrerlose Transportfahrzeuge können in der Produktion unterstützen. Wie die Sicherheit der Beschäftigten gewährleistet bleibt, zeigt sich bei Volkswagen.

In den Straßen der Montagehalle von Volkswagen in Zwickau sind zahlreiche autonome – also fahrerlose – Transportplattformen unterwegs. Sobald sie Menschen in der Nähe erkennen, reduzieren sie ihre Geschwindigkeit. Um das Reaktionsvermögen der autonomen oder auch automatisierten Fahrzeuge zu demonstrieren, macht Tobias Kluge etwas Überraschendes: Er stellt seinen Fuß direkt vor eines der Fahrzeuge. Geladen hat es eine Palette mit rund einem Dutzend Frontscheiben. Die zehn Zentimeter bis zu Kluges Fuß reichen dem Fahrzeug aus, um zum Stehen zu kommen. „Das ist jetzt eine Demonstration unter Ausnahmebedingungen“, stellt Kluge klar. Denn natürlich würde niemand absichtlich seinen Fuß vor ein fahrendes Transportvehikel stellen – ob es nun von einem Menschen gelenkt wird oder nicht.

Aber Kluge weiß genau, was er tut. Der Automatisierungsplaner ist Projektleiter FTS („Fahrerlose Transportsysteme“) bei Volkswagen Sachsen in Zwickau, wo verschiedene Elek­trofahrzeuge des Konzerns gefertigt werden. Er betreut 78 sogenannte fahrerlose Transportfahrzeuge, kurz FTF, in der Fahrzeugfertigung, die zugelieferte Einzelteile in die verschiedenen Abteilungen bringen, wo sie an die Fahrzeuge montiert werden. Die FTF bewegen sich vollautonom, also ohne Führung oder Drähte im Hallenboden.

Tobias Kluge ist Automatisierungsplaner und leitet das Projekt „Fahrerlose Transportsysteme“ bei Volkswagen Sachsen in Zwickau. © Volkswagen/ Andreas Fiebig

Der Grad an Autonomie steigt

Während im öffentlichen Straßenverkehr noch keine autonomen Fahrzeuge zugelassen sind, sind sie aus Produktions- und Montagebetrieben nicht mehr wegzudenken. „Automatisierte Transportsysteme in Betrieben gibt es bereits seit fast 30 Jahren“, sagt Torsten Borowski, der beim Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) das Sachgebiet „Schutzeinrichtungen“ bei Intelligenten technischen Systemen und Arbeitswelt leitet. Nur: „Mit der Digitalisierung, der Vernetzung und der modernen Sensorik ist der Grad an Autonomie in den vergangenen Jahren stark angestiegen.“ Interaktionen mit anderen Fahrzeugen und Menschen nehmen sukzessive zu.

Automatisierte Fahrzeuge können ein Risiko für andere Verkehrsteilnehmende in Fahrzeugen, zu Fuß oder auf dem Fahrrad darstellen. Umso wichtiger ist es, diese Risiken mithilfe der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln und Beschäftigte zu schützen. „Sicherheitsbeauftragte können dabei unterstützen und im besten Fall die Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit dem fahrerlosen Transportsystem sensibilisieren“, sagt Borowski. In der Fachbereich AKTUELL FBHM-119 „Automatisiert fahrende Fahrzeuge in betrieblichen Bereichen“ der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) wird zwischen öffentlich zugänglichen und vergleichbaren Bereichen, abgeschlossenen Bereichen mit begrenztem Zugang und abgeschlossenen Bereichen ohne Zutritt unterschieden.

Klicktipp

Grundlegendes zu automatisiert fahrenden Fahrzeuge in betrieblichen Bereichen in der Fachbereich AKTUELL.

Im Jahr 2019, bei der Einführung des neuen FTS-Systems, erhielten alle Beschäftigten im Einsatzbereich eine Sensibilisierungsschulung. Im Serienbetrieb werden alle Führungskräfte und Mitarbeiter im Rahmen der Erstunterweisung und der jährlichen Unterweisung zum Umgang mit dem FTS geschult. „Hierbei unterstützen unsere Sicherheitsbeauftragten ihre Führungskraft“, erzählt Andreas Fiebig, Leiter Sicherheit bei Volkswagen Sachsen. Er ist zuständig für die Arbeitssicherheit von rund 12.500 Beschäftigten, davon etwa 10.000 in Zwickau. Das dortige Automobilwerk gehört zu den modernsten der Welt. Dies soll auch für die Arbeitssicherheit gelten. Die Bedenken gegen FTF seien inzwischen ausgeräumt. Seit ihrer Einführung hätten sich gegenüber dem manuellen Transport mit Gabelstaplern sowohl Transportschäden als auch die Zahl der Unfälle verringert.

Die FTF im VW-Werk sind in drei unterschiedlichen Betriebsbereichen unterwegs: öffentlich zugängliche, abgeschlossene mit begrenztem Zugang und abgeschlossene Bereiche. Zum Umschlagbahnhof haben etwa nur berechtigte Personen Zugang. Große Warnschilder links und rechts sowie eine Markierung auf dem Hallenboden weisen darauf hin, dass der Zugang ohne Berechtigung verboten ist. Sobald ein FTF den Umschlagbahnhof verlässt, befindet es sich in einem öffentlich zugänglichen Bereich. Bemannte Gabelstapler und Zugfahrzeuge mit mehreren Anhängern kurven hier durch, außerdem kreuzen Menschen auf dem Fahrrad oder zu Fuß ihre Wege. Mit grünen Linien von der Straße abgetrennte Wege kennzeichnen die Bereiche für Fußgängerinnen und Fußgänger. Die Übergabe der Autoteile an den Montageroboter erfolgt in einem durch Schnelllauftore abgeschlossenen ­Bereich.

Gut zu wissen: Betriebliche Bereiche

  • Öffentlich zugänglich und vergleichbare Bereiche:

Z.B. eine Werkshalle, in der sich Fahrzeuge und Menschen, die auf dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind, begegnen. Verschiedene Personen und Fahrzeuge haben Zugang. Verkehrswege für Fahrzeuge sind gekennzeichnet, ebenso Fußgängerüberwege und getrennte Richtungsfahrbahnen. „Die Verkehrssituation ist mit dem öffentlichen Straßenverkehr vergleichbar. Hier müssen den öffentlichen Verkehrsregeln (Straßenverkehrsgesetz/StVG, Straßenverkehrsordnung/StVO) identische Regelungen gelten“, so die FBHM-119.

  • Abgeschlossene Bereiche mit begrenztem Zugang:

Etwa ein Tor mit grellen Warnhinweisen, die zusätzlich auf dem Boden zu sehen sind. Nur berechtigte Personen oder Fahrzeuge haben Zugang. Personen müssen angemessen unterwiesen oder qualifiziert sein, wenn sie diesen Bereich betreten wollen. Im Zwickauer VW-Werk ist das etwa der Umschlagbahnhof mit den Umladestationen und Batterieladestationen.

  • Abgeschlossene Bereiche ohne Zutritt:

Z.B. eine Garage, in der ein Montageroboter arbeitet. Ein Garagentor trennt den abgeschlossenen vom öffentlich zugänglichen Bereich. Laut FBHM-119 müssen Personen, die dort etwa Instandhaltungsarbeiten durchführen, durch besondere Maßnahmen (Stillstand, gesicherte Bereiche, besondere Betriebszustände) vor Gefährdungen geschützt werden. Hier gilt: Automatisiert fahrende Fahrzeuge, die in abgeschlossenen betrieblichen Bereichen ohne Zutritt von Personen eingesetzt werden, werden wie automatisierte Fertigungseinrichtungen behandelt.

Fahrerlose Transportfahrzeuge: Abschaltknopf für Notfälle

Die FTF kommunizieren mit einer Leitstelle. Mit zwei Sicherheitsscannern und zahlreichen anderen Sensoren ausgestattet, scannen sie ständig die Umgebung, vergleichen sie mit der in ihrem System gespeicherten Karte der Montagehallen und erkennen Hindernisse. Sobald eines in der Nähe ist, passen sie ihre Geschwindigkeit der Situation an. Droht eine Kollision, stoppen sie. Für alle Fälle haben sie deutlich sichtbare Notabschaltknöpfe an allen vier Seiten. Außerdem gibt es in der ­Endmontage automatisiert auf Fahrspuren fahrende Plattformen, die fertige Fahrzeuge von einer zur anderen Station transportieren. Auch diese Plattformen verfügen über Scanner, um Hindernisse zu erkennen und notfalls schnell zu stoppen.

Risiken in der Endmontage

Was bei Volkswagen so gut eingespielt ist, birgt andernorts noch He­rausforderungen – etwa, wenn sich die Fahrzeuge in der Endmontage mit ihren eigenen Sensoren autonom bewegen und flexibel reagieren müssen. Ein Forschungsprojekt der RWTH Aachen mit Partnern hat diese Einsatzbedingungen in einem Pilotprojekt getestet. Torsten Borowski hat es begleitet. Sein Fazit ist zwiespältig. Zwar eröffne der Ansatz viele Möglichkeiten. „Aber welche Risiken sich für die Beschäftigten daraus ergeben können, ist noch gar nicht ermittelt“, so Borowski.

Für Sicherheitsbeauftragte wird es darauf ankommen, sich angesichts des hohen Innovationstempos bei fahrerlosen Fahrzeugen auf dem Laufenden zu halten, ihr Wissen mit den Beschäftigten zu teilen und ihre Führungskraft zu unterstützen, indem sie Neuerungen bei der Umsetzung im Betrieb begleiten.