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Gewalt am Arbeitsplatz
Auch verbale Attacken sollten unbedingt dokumentiert werden. © Getty Images/G-Stockstudio

Arbeitssicherheit : Gewalt am Arbeitsplatz

Die Gewalt am Arbeitsplatz durch betriebsfremde Personen nimmt seit Jahren zu. Besonders betroffen sind Berufsgruppen mit Kunden- und Patientenkontakt.

Eine Fachkraft im Pflegebereich wird von einem Patienten angespuckt. Nicht zum ersten Mal. Die Angestellte geht weiter ihrer Arbeit nach. Der Zwischenfall wird nicht gemeldet. Später stellt sich heraus: Der Patient ist infektiös. Bei der Mitarbeiterin entwickelt sich eine Krankheit.

Wenngleich der Fall fiktiv ist, den Anne Gehrke hier skizziert – so oder ähnlich ereigne er sich immer wieder. „Wenn der Übergriff nicht dokumentiert oder gemeldet wurde, hat die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse später Probleme, Leistungen zu erbringen“, denkt die am Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) für den Bereich Gewalt am Arbeitsplatz Zuständige das Szenario weiter.

Nur ein Teil der Gewaltfälle wird überhaupt gemeldet

Den meisten Führungskräften, aber auch Sicherheitsbeauftragten, sei bewusst, dass Arbeitsunfälle zu melden sind, die eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen nach sich ziehen. „Dass genauso auch Übergriffe gemeldet werden können, die nicht unbedingt einen offensichtlichen körperlichen Schaden zur Folge haben müssen, wissen viele jedoch nicht“, so Gehrke.

Wie hoch die Zahl der Gewalttaten durch betriebsfremde Personen ist, lasse sich daher nur schwer einschätzen. Dabei zeigt bereits der Blick auf die tatsächlich gemeldeten Zahlen: Es sind viele. 2019 wurden der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung 13.247 Gewaltunfälle mit Beschäftigten gemeldet. Das sind 1.254 Übergriffe, Beleidigungen und Bedrohungen mehr als 2018. Und 2.438 mehr als 2017.

Sicherheitsbeauftragte sollten daher um die Bedeutung dieses Themas wissen meint Dr. Just Mields, Arbeitspsychologe der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM): „Ihre Rolle ist zentral. Sie sind nah an der Belegschaft und können Vorfälle beispielsweise an den Arbeitsschutzausschuss (ASA) herantragen, in dem der Arbeitsgebende, der Betriebsrat und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit sitzen.“

Die Zahl der Gewaltunfälle nimmt seit Jahren zu. © Referat Statistik, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, 01.12.2020

Gewalt hat viele Facetten

Für den Arbeitsschutz wird die Definition der International Labour Organization (ILO) zugrunde gelegt. Sie beschreibt Gewalt am Arbeitsplatz als „eine Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung, gleich ob es sich um ein einmaliges oder ein wiederholtes Vorkommnis handelt, die auf physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden abzielen, diese zur Folge haben oder wahrscheinlich zur Folge haben, und umfasst auch geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung“.

Sicherheitsbeauftragte können sich vielfältig einbringen

Jasmine Kix vom DGUV-Sachgebiet Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt rät Sicherheitsbeauftragten, das Gespräch mit der Belegschaft zu suchen. „Selbst wenn sie nur von einem Fall mitbekommen, ist es durchaus möglich, dass die Zahl höher ist.“ Handlungsoptionen gäbe es dann einige.

„Ich empfehle zunächst, mit dem betroffenen Beschäftigten und der Führungskraft zu sprechen. Gemeinsam kann nach Lösungen gesucht werden, wie sich solche Vorkommnisse in Zukunft verhindern lassen könnten.“

Hierfür wird das STOP-Prinzip zugrunde gelegt. Heißt: Substitution gefolgt von technischen, organisatorischen und schließlich personenbezogenen Maßnahmen. Auch die Frage, ob die Gefährdungsbeurteilung unter dem Blick erstellt wurde, welche Gewalteinwirkungen und psychischen Gefährdungen mit der jeweiligen Arbeit verbunden sein könnten, ist zu klären.

Sicherheitsbeauftragte sind keine Sheriffs

„Hilfreich ist, die Veröffentlichungen und Angebote der gesetzlichen Unfallversicherung zu prüfen und mit der Führungskraft zu thematisieren, wie Gewaltprävention Teil des Arbeitsschutzes im Betrieb sein kann. Wegschauen oder verharmlosen ist die schlechteste Option, das sollte Führungskräften vermittelt werden.“

Wichtig ist Mields jedoch, dass sich Sicherheitsbeauftragte nicht als Sheriffs oder Psychologinnen/Psychologen verstehen. „Sie sind nicht dafür verantwortlich, dass Gewaltübergriffe verhindert und Opfer versorgt werden. Das liegt in der Verantwortung der Führungskräfte, die ihrer Fürsorgepflicht nachkommen müssen.“

Sie könnten aber darauf achten, dass Vorfälle gemeldet und dokumentiert werden, etwa durch einen Eintrag in das Verbandbuch. Außerdem können sie einen wichtigen Impuls in Richtung Gewaltprävention geben, damit Gewalt, egal von wem sie ausgeht, nie toleriert wird. Dafür sei es essenziell, dass es ein klares Statement des Unternehmens gegen Gewalt gibt. „Auf dieser Basis können Sicherheitsbeauftragte gestärkt ins Gespräch gehen.“

Keine Berufsgruppe ist vor Gewalt am Arbeitsplatz sicher

Dass sie eine Schulung zum Thema Gewalt am Arbeitsplatz besuchen, hält Mields zudem für sinnvoll. „Am besten erkundigt man sich hier bei seiner Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse nach Angeboten.“ Denn klar müsse sein: Keine Berufsgruppe ist vor Gewalt am Arbeitsplatz sicher. Besonders gefährdet seien jedoch Arbeitnehmende, die in Kunden- oder Patientenkontakt stehen.

„Das können Mitarbeitende in Behörden sein, die beispielsweise Sanktionen umsetzen müssen, die eine Kontrollfunktion haben, die über die Kürzung von Sozialleistungen entscheiden, die mit Bargeldbeständen zu tun haben oder Zugang zu Medikamenten“, listet Gehrke auf. All diese Aufgaben seien Gefährdungsfaktoren.

Die Statistiken der DGUV zeigen, dass folgende Berufsgruppen zu den am stärksten von Gewalt durch Dritte betroffenen gehören:

  • Fachkräfte in der Pflege und Altenpflege
  • Beschäftigte im Einzelhandel
  • Beschäftigte in Kitas
  • Fahrausweisprüfende
  • Sperrversorgende bei Energieunternehmen
  • Lehrkräfte
  • Rettungskräfte
  • Alleinarbeitende oder Betreuende von Online-Foren

Wirksamkeit der Maßnahmen gegen Gewalt am Arbeitsplatz prüfen

Um herauszufinden, wie gefährdet Arbeitnehmende sind, kann das „Aachener Modell zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz“ angewendet werden. Es stellt einen Leitfaden dar, mit dem die Tätigkeit in eine der beschriebenen Gefährdungsstufen eingeordnet und mit dem eine vorausschauende Sicherheits- und Notfallorganisation entwickelt werden kann.

„Wurden Maßnahmen zur Prävention getroffen, sollten Sicherheitsbeauftragte eine Wirksamkeitskontrolle anstoßen“, ergänzt Dr. Mields. Greifen die vereinbarten Schritte oder müssen neue Wege gesucht werden? Die Gewaltprävention ist eine stetige Aufgabe.

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