Link to header
Mit Post-COVID zurück in den Job
Simone Lorenz ist froh, dass sie heute wieder sieben Stunden täglich in der Kita arbeiten kann. © Martin Steffen

Gesundheitsschutz : Mit Post-COVID zurück in den Job

Die Erzieherin Simone Lorenz leidet am Post-COVID-Syndrom und war monatelang arbeitsunfähig. Dank gezielter Reha-Maßnahmen arbeitet sie heute wieder in der Kita.

Du willst zu Simone? Zu welcher denn? Wir haben zwei!“ Die beiden Kinder, die im Vorraum des Katholischen Kindergartens St. Michael auf Schaumstoffmatten spielen, schauen den Besuch erwartungsvoll an. Da kommt die „richtige“ Simone auch schon aus einem der Gruppenräume. Um sie, die 27-jährige Simone Lorenz, geht es. Denn dass die junge Erzieherin das Kita-Team in Oberhausen heute wieder verstärkt, ist alles andere als selbstverständlich. Aufgrund der schweren Folgen einer Corona-Infektion war Lorenz rund 15 Monate arbeitsunfähig. Diagnose: Post-COVID-Syndrom.

Post-COVID meint Beschwerden, die länger als zwölf Wochen nach einer Infektion anhalten. Für die Corona-Langzeitfolgen wird oft auch der Sammelbegriff Long-COVID genutzt. Chronische Erschöpfung, neur­ologische Beschwerden, diffuse Schmerzen – die Liste möglicher Symptome ist lang. Die Krankheitsgeschichte von Simone Lorenz beginnt im August 2021. Da steckt sie sich bei einer Kollegin mit dem Corona-­Virus an. „Am Anfang war es wie eine Erkältung, dann bekam ich Fieber und Schüttelfrost. Abends fingen die Luftbeschwerden an.“ Die Erkältungssymptome verschwanden nach ein paar Tagen, die Kurzatmigkeit blieb – und Erschöpfungssymptome kamen hinzu. „Ich konnte kaum ein paar Schritte gehen, ohne mich erholen zu müssen“, so Lorenz.

Belastende Monate ohne konkrete ärztliche Diagnose

Die Erzieherin musste sich auch nach der Quarantänezeit weiterhin krankschreiben lassen. Es folgten quälende Monate der Unsicherheit. Im Jahr 2021 war Post-COVID noch keine gängige Diagnose. Und organische oder andere medizinische Ursachen für die Beschwerden wurden nicht gefunden. „Mein Hausarzt sagte irgendwann, er wisse nicht mehr, warum er mich krankschreiben soll“, sagt Lorenz. „Diese Zeit war richtig schlimm. Die einen sagen dir, du kannst doch arbeiten, dir fehlt ja medizinisch nichts. Und du selbst kannst kaum gehen, ohne sofort aus der Puste zu sein.“

Simone Lorenz musste lange auf eine konkrete Diagnose warten. © Martin Steffen

Einige Wochen nach der Infektion reichte Lorenz einen Antrag auf Anerkennung von COVID als Berufskrankheit bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ein. Die Anerkennung Anfang 2022 war eine entscheidende Stellschraube. Vom Sachbearbeiter wurde Lorenz ein Besuch der Post-COVID-Sprechstunde im BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum empfohlen. Diese Sprechstunde ist Teil des Post-COVID-Programms, das BG Kliniken und BGW im Jahr 2021 initiiert haben und umfasst verschiedene Untersuchungen: „Unter anderem wurde meine Lungenfunktion überprüft und Ausdauertests gemacht“, sagt Simone Lorenz. „Hier hat sich auch bestätigt, dass sich durch die Corona-Infektion mein Asthma verschlimmert hat.“

Gut zu wissen: COVID-19 als Berufskrankheit

Voraussetzung:

  • Beschäftigte müssen sich nachweislich bei der versicherten Tätigkeit mit COVID-19 infiziert haben.Nachweise: u. a. positiver qualifizierter Schnelltest, coronatypische Symptome, direkter Kontakt zu einer infizierten Person oder ein generell sehr hohes berufliches Infektionsrisiko.

Ist eine Anerkennung in allen Berufen möglich?

  • Eine Berufskrankheit nach Nr. 3101 BK-Verordnung wird i. d. R. nur bei Beschäftigten in der Wohlfahrtspflege, im Gesundheitsdienst, in einem Laboratorium oder Bereichen mit besonders ­hohem Infektionsrisiko anerkannt.
    Hinweis: Auch eine Anerkennung als Arbeitsunfall ist möglich

Wie lange werden Beschwerden als Berufskrankheit anerkannt?

  • So lange, wie Beschwerden nachweislich eine Folge der berufbedingten COVID-19-
    Infektion sind; zur Prüfung kann der zuständige Unfallversicherunsträger regelmäßige Untersuchungen veranlassen.
  • Beispiel: Litten Versicherte bereits vorher an Asthma, ist zu prüfen, ob/wie lange die COVID-19-Infektion ursächlich für anhaltende/verstärkte Atembeschwerden ist.

Weitere Infos zur Annerkennung liefert die DGUV.

 

Im Post-COVID-Programm Schritt für Schritt zur gezielten Behandlung

Endlich eine Diagnose – nicht nur für Simone Lorenz ein Meilenstein. „Es ist fast das Wichtigste, dass man Betroffenen sagen kann, was mit ihnen nicht stimmt“, sagt Dr. Yann Marc Fülling. Der Oberarzt ist im Bergmannsheil Bochum für die Heilverfahrenssteuerung zuständig und hat auch Simone Lorenz betreut. In Absprache mit der BGW wurde der Erzieherin eine maßgeschneiderte Rehabilitation verordnet.

„Wenn Ausdauerdefizite im Vordergrund stehen, ist das üblicherweise eine ‚Komplexe Stationäre Rehabilitation‘. Diese zeichnet sich durch die interdisziplinäre Ausrichtung und die Therapieintensität aus“, so Fülling. Drei Wochen absolvierte Lorenz ein intensives ­Gerätetraining. Ihre Symptome sind kein Einzelfall: „Nahezu alle Post-COVID-Betroffenen berichten von einem Gefühl der Erschöpfung und einer starken Leistungsminderung.“

Gut zu wissen: Post-COVID-Programm der BG-Kliniken

Ziele und Zielgruppe:

  • Körperliche und psychische Beschwerden sollen gelindert und der Weg zurück in den Beruf ermöglicht werden.
  • Das Programm ist zugänglich für Versicherte aller Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, die unter den Folgen einer berufsbedingten COVID-19-Erkrankung leiden.

Beteiligte und Ablauf:

Schritt 1: Anerkennung

  • Post-COVID wird als Berufskrankheit durch die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse anerkannt.
  • Schritt 2: Kontaktaufnahme mit BG Klinik
  • Auf Basis bisheriger Befunde folgt eine ärztliche Empfehlung für den geeigneten nächsten Schritt des Programms.
  • Bieten sich nach erster ärztlicher Durchsicht der Befunde bereits passende Reha­Maßnahmen an, kann direkt Schritt 4 folgen.

Schritt 3:

Entweder: Post-COVID-Sprechstunde

  • Ambulante Diagnostik und Beratung der Patientin/des ­Patienten, um gezielte Reha- bzw. Therapiemaßnahmen festzulegen.

oder: Post-COVID-Check

  • Bei komplexeren Fällen: umfangreiche stationäre Diagnostik und Beratung (sieben bis zehn Tage).
  • Je nach Symptomatik Einbindung von Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Psychologie und anderen Fach­richtungen möglich.

Schritt 4: Maßnahmen zur Rehabilitation

  • Je nach Diagnose mit Fokus auf Verbesserung der Lungenfunktion, allgemeine Mobilisierung, Bewältigung psychischer Folgen o. Ä.
  • Zusätzliche Reha-Leistungen wie z. B. Tätigkeitsorientierte Rehabilitation (TOR) oder langfristige Physiotherapie sind möglich.

Schritt 5: Nachsorge

  • Nach der Reha werden meist mehrere Nachsorgetermine in der BG Klinik angesetzt.
    Auch bei einer Verschlechterung des Zustandes können Versicherte – in Absprache mit dem Reha-Management – die BG Klinik aufsuchen.

Klicktipp:

Interview mit Prof. Schwenkreis vom Bergmannsheil Bochum über Ziele, Ablauf und Forschungsstand des Post-COVID-Programms

Reha-Management unterstützt Post-COVID-Betroffene bei weiterem Betreuungsbedarf

Zu diesem Zeitpunkt schaltete sich Reha-Managerin Tineke Jülicher ein: „Wenn im Zuge der Reha weiterer Betreuungsbedarf besteht, kommen wir ins Spiel.“ Jülicher ist direkte Ansprechpartnerin für Lorenz, prüft geplante Maßnahmen und fungiert als Vermittlerin. „Wir orientieren uns zunächst an den ärztlichen Empfehlungen. In persönlichen Gesprächen mit den Versicherten versuche ich aber immer, gemeinsam die beste Lösung zu erarbeiten. Es bringt nichts, ihnen Entscheidungen einfach überzustülpen.“

Wie wichtig diese Unterstützung für Simone Lorenz ist, zeigte sich etwa beim Reha-Abschlussgespräch. Sie war zwar noch nicht beschwerdefrei, aber so weit stabilisiert, dass die berufliche Wiedereingliederung geplant werden konnte. „Der Arzt schlug vor, dass ich direkt mit vier Stunden täglicher Arbeit starten solle. Doch Frau Jülicher hat direkt an meinem Blick gesehen, dass mir das zu viel ist, und mir den Rücken gestärkt“, so Lorenz. „Wir haben uns dann auf zwei Stunden geeinigt und die Arbeitszeiten sukzessive erhöht.“ Der Plan ging auf. Lorenz schloss die Wiedereingliederung Ende 2022 erfolgreich ab.

Reha-Managerin Tineke Jülicher ist monatelang eine wichtige Stütze für Simone Lorenz. © Martin Steffen

Antragsflut stellte auch die BGW vor immense Herausforderungen

Doch vor dem Blick in die Gegenwart noch eine kurze Rekapitulation: Im August 2021 infizierte sich Lorenz mit COVID-19, Anfang 2022 wurde die Berufskrankheit anerkannt, im Herbst 2022 begann die Reha – ein erfolgreicher, aber auch langwieriger Prozess. Das ist auch der Ausnahmesituation  einer Pandemie geschuldet. Die BGW berichtete ab 2021 über ein beispielloses Arbeitsaufkommen. Bis heute können Anträge nur verzögert bearbeitet werden. „Mittlerweile ist die Zahl der Anträge mit COVID-19-Bezug stark gesunken. Aber die Situation in unserer Sachbearbeitung war heftig und ist bis heute schwierig“, erinnert sich Jülicher.

Zahlen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) verdeutlichen die Dimension. Bis März 2024 wurden insgesamt 545.035 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit im Zusammenhang mit COVID-19 erstattet. Anerkannt wurden 358.641. Ein Großteil fiel in den Zuständigkeitsbereich der BGW. Diese verzeichnete bis Ende März 414.617 Verdachtsan­zeigen, 278.234 wurden als Berufskrankheit anerkannt.

Gezielte Therapie und Betreuung – auch nach der Reha

Simone Lorenz arbeitet seit Januar 2023 wieder 35 Stunden wöchentlich. Ihre alte Form hat sie aber noch nicht zurück und fällt häufiger aus als andere Kolleginnen. Auch für das Team eine Herausforderung, aber: „Hier haben alle Verständnis für mich.“ Das war in der Kita, in der sie zum Zeitpunkt der Infektion gearbeitet hat, nicht so. „Deswegen habe ich mich schon vor der Reha in die Kita St. Michael versetzen lassen.“ Hier wurde der Dienstplan so angepasst, dass Lorenz in einer Gruppe mit zwei weiteren Erzieherinnen arbeitet. Fällt sie aus, bleibt die Kinderbetreuung dennoch gewährleistet.

Aufräumen nach dem Kitatag: Heute ist das für Simone Lorenz wieder möglich. © Martin Steffen

Physiotherapie kann bei Post-COVID auch eine mentale Stütze sein

Parallel wird Lorenz weiter fachärztlich und von der BGW betreut. Denn die Erschöpfungszustände wurden zwar deutlich verringert, doch dann stellten sich Schmerzen im oberen Bauchraum ein. Nach der Reha wurde ihr daher eine Physiotherapie verordnet. Und so geht es auch heute noch nach der Kita direkt in die Praxis von Nazif Aktas in Essen, fünf Autominuten entfernt. „Am Anfang haben wir vor allem Atemübungen gemacht und ihre Ausdauer trainiert“, sagt Therapeut Aktas. Dann fiel auf, dass Lorenz’ Schmerzen nachlassen, wenn Muskeln und Sehnen rund um das Zwerchfell gedehnt werden. Seither fokussiert die Behandlung ent­sprechende Übungen. Meist kommen flexible Gummibänder zum Einsatz.

„Ohne die Physiotherapie würde es im Moment gar nicht funktionieren. Ich merke sofort, dass die Schmerzen stärker werden, wenn ich länger als zwei Wochen aussetze“, so Lorenz. Nazif Aktas betont, dass bei der jungen Erzieherin auch die mentale Unterstützung ganz wichtig sei. Neben den Schmerzen hatte sie anfangs große Ängste vor einer neuen Infektion. „Beim ersten Termin haben wir nur geredet“, erinnert sich Aktas. Erlebt man Therapeut und Patientin gemeinsam, wird schnell deutlich: Hier hat sich eine Vertrauensbasis entwickelt. Aktas freut sich über den Fortschritt nach all den Monaten: „Ich bin unglaublich zufrieden mit Simone.“

Die Übungen bei der Physiotherapie sind für Lorenz ganz entscheidend für die Verbesserung der Symptome. © Martin Steffen

Aber auch Rückschläge sind Teil der Post-COVID-Erkrankung von Simone Lorenz. Als ihre Schmerzen im Frühjahr 2024 wieder schlimmer wurden, ließ sie sich nach hausärztlicher Betreuung auch im BG Universitätsklinikum Bergmannsheil erneut unter­suchen. Und blieb zunächst frustriert: „Da wurden wieder nur meine Lungenfunktion und die Sauerstoffversorgung gemessen, dabei hatte ich doch Schmerzen am Zwerchfell!“

Konstante, individuelle Nachsorge bei Post-COVID oft dringend nötig

Am Ende war der Termin dennoch erfolgreich. Die Lungenfachärztin empfahl ein Medikament, das als Langzeitbehandlung bei Asthma eingesetzt wird – und gleichzeitig die Schmerzen am Zwerchfell lindert. Die zwischenzeitlich ausgelaufene Physiotherapie wurde ebenfalls erneut verschrieben. „Es geht mir jetzt viel besser“, sagt Lorenz heute. Auch in solch anstrengenden Zeiten ist Tineke Jülicher eine zentrale Ansprechpartnerin. „Ich melde mich direkt bei ihr, wenn es mir schlechter geht. Sie kennt mich und sucht sofort nach einer Lösung.“ Doch wie lange werden ­Beschwerden wie die von Lorenz als berufsbedingt anerkannt? „Wir können natürlich nur das entschädigen, was versichert ist. Das muss immer wieder geprüft werden“, so Jülicher.

Alle Beteiligten hoffen, dass sich die Gesundheit der Erzieherin weiter verbessert – und somit eine Betreuung künftig gar nicht mehr nötig sein wird. Simone Lorenz hat noch ein weiteres Ziel: „Ich möchte wieder Vollzeit arbeiten.“