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„Wir schulden den Menschen eine neue Perspektive“
Für die Vermittlung kann jeder Aspekt bedeutend sein. Deshalb besuchen die Fachberaterinnen und Fachberater von DGUV job die zu vermittelnden Personen zu Hause. © AdobeStock/Syda Productions

Arbeitssicherheit : „Wir schulden den Menschen eine neue Perspektive“

Wenn Beschäftigte ihre Arbeit nach einer berufsbedingten Krankheit oder einem Unfall nicht länger ausüben können, hilft DGUV job bei der Suche.

Die Arbeitsvermittlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) DGUV job unterstützt Beschäftigte dabei, sich beruflich neu zu orientieren. Im Interview spricht Koordinator und Rehabilitations-Fachberater Thomas Schramm über die Aufgaben von DGUV job und welche Herausforderungen es bei der Arbeitsvermittlung zu meistern gilt.

Thomas Schramm ist Koordinator und Rehabilitations-Fachberater bei DGUV job. © Thomas Schramm

Herr Schramm, was ist das Konzept von DGUV Job?

Immer wieder passiert es, dass Beschäftigte nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit nicht mehr in ihrem gelernten Beruf arbeiten können und der Betrieb sie deshalb nicht länger einsetzen kann. In den meisten Fällen hat die Person jedoch Talente und Fähigkeiten, die für einen anderen Betrieb interessant sein könnten. Die Idee von DGUV job ist es, diese Beschäftigten über unser Netzwerk an einen neuen Betrieb zu vermitteln.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Wir stehen in regelmäßigem Austausch mit einer Vielzahl von Betrieben, die Personal suchen. Zudem verfügen wir über die Kontakte aller arbeitssuchenden Rehabilitanden in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Ein Unternehmen sucht beispielsweise nach einer Person mit EDV-Kenntnissen und Erfahrung in der Holzverarbeitung. Über DGUV job findet dieser Betrieb dann möglicherweise eine Schreinerin, die ihren Beruf aufgrund einer Handverletzung nicht mehr ausüben kann, jedoch dank ihrer Fähigkeiten eine andere Arbeitsstelle wahrnehmen kann. Wir überlegen uns für die betroffene Person stets individuell, wie wir für sie eine passende Stelle finden können.

Wie kann so eine individuelle Vermittlung aussehen?

Wir hatten zum Beispiel vor kurzem einen Gas-Wasser-Installateur, der diesen Beruf nach einem Arbeitsunfall nicht mehr ausüben konnte. Er hatte die Idee, an einer Berufsschule zu arbeiten. Solche Stellen werden jedoch nur selten ausgeschrieben.

Also haben wir sämtliche Bildungsträger in der Region herausgesucht, für den Bewerber eine Art Werbeflyer erstellt – mitsamt seinen Stärken und Kontaktmöglichkeiten – und ihn an die entsprechenden Einrichtungen geschickt. So konnten wir für ihn eine passende neue Stelle finden.

Müssen sich die Beschäftigten für die Vermittlung aktiv bei DGUV job bewerben?

Als erstes melden die Unfallversicherungsträger ihre Arbeitssuchenden bei uns. Üblicherweise ist dies der Fall, wenn im Rahmen des Reha-Managements klar wird, dass die Beschäftigten im Betrieb aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht weiterbeschäftigt werden können.

Wenn die Betroffenen an einem Vermittlungsverfahren über DGUV job teilnehmen wollen, müssen sie der Einwilligungs- und Datenschutzerklärung zustimmen, damit wir tätig werden können. Ist das erledigt, werden wir vom Unfallversicherungsträger auf Grundlage von Paragraph 88 des zehnten Sozialgesetzbuches damit beauftragt, die Arbeitsvermittlung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben durchzuführen.

Die ersten Schritte im Vermittlungsprozess bei DGUV job

  1. Kennenlernen: Die Reha-Fachberaterin oder der Reha-Fachberater vereinbart ein Gespräch mit der betroffenen Person. Es findet meist bei ihr zuhause stattfindet, sodass die Beraterin/der Berater einen für die Vermittlung wichtigen Einblick in die gesamte familiäre und soziale Situation der Person erhält.
  2. Beraten: Im Gespräch werden finanzielle und persönliche Situation, berufliche Vita, Belastungsniveau, Talente und Fähigkeiten sowie allgemeine Lebensplanung besprochen. Rahmenbedingungen für die Vermittlung werden herausgearbeitet und Zielarbeitsmärkte definiert.
  3. Coachen: Auf das Gespräch folgt eine Berufsberatung. Hier wird geklärt, ob für den neuen Beruf zum Beispiel eine Umschulung notwendig ist. Ebenfalls erhalten Betroffene ein Bewerbungscoaching, das unter anderem die Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche beinhaltet.

Was sind die Herausforderungen bei der Vermittlung?

Vieles hängt davon ab, ob die Person bereit ist, sich in den Vermittlungsprozess einzubringen. Einschränkungen und Schmerzen sind sehr subjektiv. Genau deshalb fahren wir zu den Betroffenen. Gemeinsam finden wir heraus, welche Hürden es gibt und welche sich überwinden lassen.

Ich betreute zum Beispiel mal einen Beschäftigten, dem der Oberschenkel amputiert wurde, der aber trotzdem weiter auf dem Bau arbeiten wollte. Und obwohl wir uns das zunächst nicht vorstellen konnten, schafften wir es, ihn an einen entsprechenden Betrieb zu vermitteln. Der Betrieb passte den Arbeitsbereich so an, sodass der Beschäftigte seine Tätigkeit trotz Beinprothese wieder aufnehmen konnte.

Grundsätzlich helfen wir allen: die kurz vor der Rente stehen. Wir setzen uns auch für Personen ein, die nicht umgeschult werden können, keinen Bildungsabschluss oder ihr ganzes Leben Hilfsarbeiten ausgeführt haben. Wir suchen für alle und sind deshalb manchmal für die Betroffenen die letzte Möglichkeit. Es kommt teils auch vor, dass wir sie über mehrere Jahre betreuen.

Finanziert und organisiert DGUV job auch Weiterbildungen bzw. Umschulungen?

Das kommt auf die jeweilige Situation an. Nehmen wir als Beispiel den Beruf des Alltagsbegleiters im Pflegebereich: Hierfür ist eine dreimonatige Qualifizierung notwendig. Wenn eine zu vermittelnde Person passt, erstellen wir einen Bericht, wie sie in diesen Beruf finden könnte.

Dann fragen wir den Träger, ob er mit unserem Plan einverstanden ist und die Kosten übernehmen würde. Wir öffnen also die Tür und zeigen Wege auf. Am Ende wägt der Unfallversicherungsträger ab, welche konkrete Teilhabeleistung das Rehabilitationsziel sicherstellen kann.

Wenn Sie bei den Betroffenen waren und eine neue berufliche Perspektive entwickelt haben, wie findet DGUV job dann einen passenden Betrieb?

Zum einen bekommen wir immer wieder Stellenangebote direkt von den Unternehmen, entweder per Mail oder über unser Internetportal. Natürlich können Unternehmen auch ganz unbürokratisch bei uns anrufen und nachfragen, ob wir gerade eine passende Person für ihre Stelle haben.

Zusätzlich nutzen wir seit 2004 ein eigens von uns entwickeltes IT-Programm, mit dem wir bundesweit täglich zwei Millionen Stellen überprüfen. Das Programm filtert automatisch, welche der Stellen zu den Profilen der Bewerberinnen und Bewerber passen könnten. Diese Vorauswahl wird anschließend von unseren Kolleginnen und Kollegen im Büro ausgewertet.

Klicktipp

Die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) stellt auf ihrer Webseite einen Erklärfilm über die Arbeitsvermittlung durch DGUV job zur Verfügung.

Was entgegnen Sie Arbeitgebenden, die befürchten, dass Beschäftigte nach einem Unfall oder einer Krankheit nicht mehr leistungsfähig sind?

Diese Ängste sind meiner Erfahrung nach in den meisten Fällen nicht gerechtfertigt. Schließlich suchen wir ausschließlich nach Stellen, in denen die Einschränkungen der Betroffenen keine Rolle spielen. Es geht immer um Talente und Potenziale, und die haben wir alle in uns. Ich sehe da großen Handlungsbedarf auf Seiten der Betriebe.

Viele Arbeitgebende schreiben Stellen aus, ohne auf die gesundheitlichen Ansprüche oder die Belastungen der Tätigkeit einzugehen. Auf der Website von DGUV job beispielsweise können Arbeitgebende ganz einfach per Multiple-Choice-Funktion ein Belastungsprofil zu betreffenden Stellen erstellen. Das hilft sehr dabei, die passende Kandidatin oder den passenden Kandidaten zu finden.

Wenn ich Bundesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung wäre, wäre es für alle verpflichtend, dass jede Stellenausschreibung ein solches Belastungsprofil enthält. Das würde nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern allen ein klareres Bild von den Anforderungen verschaffen.

Das Team der Fachberaterinnen und Fachberatern von DGUV job, festgehalten im Jahr 2017. © Maelsa

Warum ist die Arbeit von DGUV job für Sie persönlich wichtig?

Gesamtgesellschaftlich hängt in Deutschland sehr viel am Faktor Arbeit – egal ob Sozialversicherungspflicht, Altersvorsorge oder Einkommen. Arbeit hat aber auch viel mit dem persönlichen Selbstverständnis zu tun.

Fast niemand ist wirklich gerne arbeitslos. Deswegen finde ich es sehr wichtig, Beschäftigten eine neue berufliche Perspektive zu geben, wenn sie ihren Job berufsbedingt nicht mehr ausüben können. Das schulden wir diesen Menschen.