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Betriebliche Eingliederung: Wir stehen zusammen
Bei der BSR kann sich die Belegschaft auf die Expertise der Fallmanagerinnen und Fallmanager des BEM verlassen. Hier v. l. n. r.: Frank Batsch, Silke Schulze, Dorothea Meinzer und Philipp Schröder. © Foto: Nikolaus Brade

Arbeitssicherheit : Betriebliche Eingliederung: Wir stehen zusammen

Ein engagiertes Team unterstützt bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) Beschäftigte, wenn sie nach einem Arbeitsunfall an den Arbeitsplatz zurückkehren.

Von einer Sekunde auf die andere war plötzlich alles anders: Der Müllwerker Maik Kraczinsky (Name von der Redaktion geändert) war gerade mit zwei Kollegen im Abfallsammelfahrzeug der Berliner Stadtreinigung (BSR) auf dem Rückweg zum Betriebshof, als es passierte.

Das Abfallsammelfahrzeug der BSR stieß unverschuldet mit einem vorausfahrenden Auto so heftig ineinander, dass die drei Insassen schwer verletzt und im Fahrerhaus eingeklemmt wurden. Die Feuerwehr musste sie befreien. Das Leben von Kraczinsky änderte sich in diesem Moment im Mai 2017 schlagartig. Er entwickelte nach dem Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung. Erneut in ein Müllfahrzeug steigen? Für den Müllwerker unmöglich.

Eingliederungsmanagement der BSR

Können Beschäftigte nach einem Arbeitsunfall oder einer Erkrankung nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, hilft das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Arbeitgebende sind seit 2004 gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Angestellten beim Wiedereinstieg zu unterstützen, sofern diese innerhalb von zwölf Monaten insgesamt länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren.

Im Fall von Maik Kraczinsky wurde das BEM-Team der BSR umgehend tätig.„Der Betrieb zeigte sich von Anfang an solidarisch. Noch vor Ablauf der sechs Wochen wurden meine Familie und ich von den Kollegen kontaktiert“, erzählt Kraczinsky. Ihn betreuten Jürgen Wörner und Silke Schulze, beide seit vielen Jahren als Fallmanager und Fallmanagerin im Eingliederungsmanagement der BSR tätig.

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Muskel-Skelett-Erkrankungen treten häufig auf

Zunächst unterstützten sie ihn vor allem bei der Traumabewältigung. Im nächsten Schritt erörterten Schulze und Wörner, wie es für Kraczinsky weitergehen könnte. Wörner sagt: „Als klar wurde, dass der Kollege nicht in seinen alten Beruf zurückkehren würde, luden wir ihn zu einem Erstgespräch ein. Gemeinsam überlegten wir, in welchem anderen Unternehmensbereich er bei uns Fuß fassen könnte.“

Eine Betriebliche Wiedereingliederung in einen vollständig neuen Beruf ist bei der BSR nicht alltäglich. „Größtenteils haben wir es mit Muskel-Skelett-Erkrankungen zu tun, denn die meisten unserer Beschäftigten arbeiten in der Abfallentsorgung und der Straßenreinigung bei Wind und Wetter draußen.“ so Frank Batsch. Weiterhin erklärt er: „Das ist eine körperlich sehr fordernde Arbeit.“ Er hat das Betriebliche Eingliederungsmanagement bei der BSR vor zehn Jahren aufgebaut und leitet es nun als Koordinator.

Unfallkasse steht beim BEM an der Seite des Unternehmens

Wenn Beschäftigte aufgrund körperlicher Verschleißerscheinungen ausfallen, setzt das Fallmanagement der BSR auf eine Entlastung der Betroffenen. Doch bei Maik Kraczinsky ging es um eine psychische Erkrankung. Während seines Eingliederungsprozesses achteten Wörner und Schulze darauf, ihn so stark wie möglich einzubinden und seine Wünsche zu berücksichtigen.

Hier kam außerdem ein weiterer wichtiger Akteur ins Spiel: die Unfallkasse Berlin (UKB), mit der die BSR bei der Betrieblichen Eingliederung stets eng zusammenarbeitet. „Gemeinsam kamen wir schnell auf die Idee, dass eine kaufmännische Ausbildung gut zu Kraczinsky passen würde. Damit er einen Einblick in die Aufgaben und Anforderungen des neuen Jobs erhalten konnte, wurden ihm ein Eignungstest, eine Belastungserprobung und ein Praktikum in dem Bereich ermöglicht“, so Wörner.

Bevor Kraczinsky mit der Ausbildung beginnen konnte, galt es noch, die Finanzierung der Ausbildung zu klären. Die UKB übernahm für die Ausbildungsdauer das sogenannte Übergangsgeld und einen Teil der Umschulungskosten.

Nach einem folgenreichen Arbeitsunfall in solch einem Abfallsammelfahr­zeug konnte Maik Kraczinsky seinen bisherigen Job nicht mehr ausüben. Dank einer Umschulung kann er im Unternehmen bleiben. © Foto: BSR

Neue Ausbildung ist die richtige Lösung

Zwei Jahre nach dem Unfall ist Maik Kraczinsky wieder einsatzfähig. Im Juni 2019 unterzeichnete er den Vertrag für die kaufmännische Ausbildung. Seitdem ist der ehemalige Müllwerker als Auszubildender bei der BSR beschäftigt. Alle Beteiligten sind mit der Lösung zufrieden.

„Herr Kraczinsky macht sich in der Ausbildung wirklich hervorragend“, sagt Fallmanager Wörner. Obwohl die Eingliederung damit eigentlich abgeschlossen wäre, läuft der Prozess bei der BSR weiter. „In der Nachsorge-Phase bleiben wir als feste Ansprechpersonen mit den Beschäftigten in Kontakt. So können wir gegebenenfalls nachjustieren, sollten nach der Eingliederung Probleme auftreten“, erklärt Schulze.

Auch Sicherheitsbeauftragte können Betroffenen helfen

Bei der Nachsorge können sich auch Sicherheitsbeauftragte einbringen. Nach der Eingliederung einer Kollegin oder eines Kollegen können sich Sicherheitsbeauftragte erkundigen, ob die Maßnahmen helfen oder weitere Unterstützung notwendig ist, damit eine Rückkehr an den Arbeitsplatz gelingt.

Wörner erklärt: „Sicherheitsbeauftragte kennen sich bestens im Betrieb aus und tauschen sich meist regelmäßig mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus. In dieser Rolle können sie auch prima auf die Möglichkeiten des BEM aufmerksam machen.“

Von der Abfallentsor­gung wechselte Krac­zinsky in eine kauf­männische Ausbildung. Nun arbeitet er an einem Bildschirmarbeits­platz im Büro oder, in Hochzeiten der Pan­demie, von zu Hause. © Foto: BSR

Abteilungen Arbeitsschutz und BEM ziehen an einem Strang

Vom Eingliederungsmanagement der BSR profitieren übrigens nicht nur Beschäftigte nach einem Arbeitsunfall oder einer Erkrankung – sondern bereits davor. Immer wieder entdeckt das Fallmanagement Verbesserungspotenziale im Arbeitsschutz, erklärt Wörner: „Uns fällt auf, wenn sich Unfälle in einem bestimmten Bereich häufen. Wenn drei Personen etwa über dieselbe Stufe stolpern und anschließend einen Eingliederungsbedarf haben, wissen wir, dass wir etwas unternehmen müssen, um dort die Sicherheit zu erhöhen.“

Alle Fallmanagerinnen und Fallmanager tauschen sich deshalb stetig mit den Verantwortlichen der Arbeitssicherheit aus. „Das BEM ist eine gemeinschaftliche Aufgabe“, fasst Schulze zusammen. „Deshalb setzen sich bei uns stets mehrere Kolleginnen und Kollegen aus dem BEM-Team und der Administration zusammen. Je mehr Perspektiven in den Prozess einfließen, desto größer ist der Erfolg.“

In der Vergangenheit konnte das Eingliederungsmanagement so schon verschiedenste Optimierungen anstoßen. Zum Beispiel besseres Schuhwerk. „Sitzen Arbeitsschuhe nicht richtig oder passt die Sohle nicht, kann das zu Rückenschmerzen oder Haltungsschäden führen“, erklärt Wörner. „Als uns auffiel, dass Ausfallzeiten darauf zurückzuführen waren, informierten wir die Abteilung für Arbeitsschutz. Die Beschäftigten dort haben anschließend das Sortiment an Arbeitsschuhen erweitert.“

BEM­-Fallmanagerin Silke Schulze half zusammen mit Kolleginnen und Kolle­gen Kraczinsky bei der Wiedereingliederung bei der BSR. Hier steht sie neben BEM­Koordinator Frank Batsch. © Foto: Nikolaus Brade

Mit Fingerspitzengefühl gemeinsam zu Lösungen

Damit eine Eingliederung gelingen kann, braucht es – vor allem zu Beginn des Prozesses – eine vertrauensvolle Atmosphäre. „Viele Beschäftigte, die länger krankgeschrieben sind, sind stark verunsichert, was ihre berufliche Zukunft angeht. Manche fürchten sogar, gekündigt zu werden“, erklärt BEM-Koordinator Batsch. In den Erstgesprächen betonen er und sein Team daher, dass es nicht um das Anzählen von Krankheitstagen geht.

Stattdessen klären sie auf, dass BEM ein Unterstützungsangebot ist, das Beschäftigten nach einem Unfall oder einer Krankheit gesetzlich zusteht. Eine vertrauensvolle Atmosphäre ist dabei entscheidend. „Es ist uns wichtig, dass wir bei den Erstgesprächen unter uns sind und die Probleme der Person unter vier Augen besprechen. Wer mag, kann aber auch den Ehepartner oder eine gute Freundin mitbringen“, macht Batsch deutlich.

„Wir schulden den Menschen eine neue Perspektive“

Wenn Beschäftigte ihre Arbeit nach einer berufsbedingten Krankheit oder ...

Es steckt meist mehr dahinter

Bei Problemen, über die Betroffene nicht gerne reden, ist gegenseitiges Vertrauen besonders wichtig: „Wir haben es nicht nur mit Unfällen oder Krankheiten wie Bandscheibenvorfällen zu tun. Zu den Problemen gehört zum Beispiel auch, dass ein Familienmitglied alkoholabhängig oder zum Pflegefall wurde.“ Solche Fälle fordern vom BEM-Team der BSR ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen.

„Die menschliche Komponente ist entscheidend“, bestätigt Batsch. „Anders, als man vielleicht annehmen könnte, benötigt man im BEM nicht immer den großen Baukasten an Maßnahmen. Aber wer als BEM-Verantwortlicher nicht gerne mit Menschen zusammenarbeitet und keine guten Kommunikationsfähigkeiten hat, der ist in dem Job falsch.“ An einem erfolgreichen BEM sind letztendlich beide Seiten – Beschäftigte und Arbeitgebende – interessiert. Den guten Weg, den die BSR eingeschlagen hat, gilt es, gemeinsam weiterzugehen.

Das Hamburger Modell

Eine stufenweise Wieder­eingliederung wird auch Ham­burger Modell genannt. Es gibt Unternehmen und Beschäftigten eine Art Fahrplan vor, um nach einer längeren Ausfallzeit ins Berufsleben zurückzu­finden.

  • Voraussetzung: Beschäf­tigte müssen während des gesamten Eingliederungs­ prozesses als arbeitsunfä­hig gelten. Gleichzeitig muss die behandelnde medizinische Fachkraft den Betroffenen eine ein­ geschränkte Belastbarkeit bescheinigen sowie bestä­tigen, dass sie am Ende der Maßnahme voll in den Beruf einsteigen kann.
  • Ablauf: Die betroffene Person, der Betrieb sowie die Ärztin oder der Arzt legen die Dauer der Wie­dereingliederung gemein­sam fest. Arbeitszeit und -belastung sind zunächst stark reduziert – und wer­ den mit fortschreitender Genesung langsam ange­hoben.
  • Formalien: Die Kosten der Wiedereingliederung übernimmt die Kranken­kasse, die Rentenversi­cherung oder Unfallversi­cherung.