Arbeitssicherheit : Onboarding interkultureller Teams
Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Äthiopien, Eritrea, Pakistan: Wenn bei den Berliner Wasserbetrieben das „Horizonte“-Einstiegsqualifizierungsprogramm startet, kommen angehende Azubis aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen. Seit 2016 wendet sich die Maßnahme gezielt an Interessierte mit Migrationshintergrund. Für einen umfassend integrierenden Einstieg nehmen sie an Deutschkursen teil und durchlaufen Maßnahmen zur Persönlichkeitsentwicklung sowie zur politischen und kulturellen Weiterbildung, etwa durch einen Besuch im Bundestag. Sie formen mit deutschen angehenden Azubis Tandems, die sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit für Gemeinschaft sorgen. Das ist wichtig fürs gegenseitige Kennenlernen und Verständnis.
Damit 5.000 Beschäftigte aus 43 Ländern wie bei den Berliner Wasserbetrieben zusammenarbeiten können, braucht es entsprechende unternehmerische Strukturen. Genauso wichtig ist Aufmerksamkeit für neue Beschäftigte und ihre individuellen, kulturellen Hintergründe. Damit eventuell verbundene Hürden wie Sprachbarrieren werden hier als größte Herausforderung angesehen. Sie sind kritisch für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz, denn An- und Unterweisungen finden auf Deutsch statt und müssen verstanden werden, damit Sicherheitsstandards nachvollziehbar sind.
Faktencheck Migration
Die Praxishilfe Migration im Kontext von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit bietet Informationen zum Thema Migration im Kontext von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.
Dr. Katrin Boege, Migrationsexpertin am Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG), rät, gezielt auf die Personen zuzugehen. Das zeuge von Wertschätzung. „Die Art oder Darstellung der zu vermittelnden Inhalte sollte gemeinsam, im direkten Austausch besprochen und dann natürlich entsprechend aufbereitet werden.“ Auch Sascha Behne vom Team Arbeitssicherheit der Berliner Wasserbetriebe hebt hervor: „Alle müssen in der Lage sein, zum Beispiel Flucht- oder Rettungspläne zu lesen. Wenn Mitarbeitende weniger gut Deutsch sprechen, dann müssen wir diese Pläne eben auch in anderen Sprachen aushängen.“
Neben Sprachbarrieren sind auch die unterschiedlichen Niveaus der Vorkenntnisse zu beachten. „Aufgrund kultureller Unterschiede kann das Bewusstsein für potenzielle Gefahren am Arbeitsplatz variieren oder sogar fehlen. Das muss gelernt werden, sonst ist riskantes Verhalten viel wahrscheinlicher“, so Behne.
So gelingt betriebliche Integration im interkulturellen Team
- Mitarbeitende vorbereiten
Die Stammbelegschaft vor Arbeitsbeginn neuer Personen über deren Herkunft, persönliche Lebensgeschichte oder mögliche Sprachbarrieren aufzuklären, kann die Basis für einen sensiblen Umgang schaffen. Sicherheitsbeauftragte können anfangs eine Patenschaft übernehmen oder sich als Lotsen und Lotsinnen einbringen. - Austausch fördern
Eine offene Gesprächskultur hilft, kulturelle Unterschiede gemeinsam zu entdecken und zu erklären. Wichtig: Fehler sind menschlich. Auch Konflikte ansprechen und einen konstruktiven Umgang mit möglichen Fehlern etablieren. - Teamarbeit stärken
Neue Mitarbeitende können einem bestehenden Team neue Anregungen und Impulse liefern. Je vielfältiger, desto kreativer. - Vorurteile abbauen
Oft resultieren Vorurteile aus Unwissen und daraus abgeleiteten Verallgemeinerungen. Konflikte am besten offen ansprechen und gemeinsam der Sache auf den Grund gehen. - Zusammentreffen organisieren
Bei Firmenfeiern oder organisiertem Feierabendprogramm können sich alle Beschäftigten auf persönlicher, kollegialer Ebene kennenlernen. Das sorgt für Austausch und Zusammenhalt.
Um interkulturelle Teams zu stärken stellt die Initiative Neue Qualität der Arbeit neun Maßnahmen vor.
Zuhören und Nachfragen im interkulturellen Team
Dr. Katrin Boege weist auf mögliche Missverständnisse bei alltäglichen Themen hin: Der zugewanderte Kollege kommt zu spät oder viel zu früh? In seinem Heimatland herrscht vielleicht ein anderes Pünktlichkeitsverständnis. Man merkt, eine asiatische Mitarbeiterin hat die Materialien doch nicht verstanden? In ihrer Heimat ist es vielleicht nicht üblich, konkret und direkt nachzufragen. Auch religiöse oder private Aspekte können die Arbeit prägen. Hat jemand Sorge um die Familie im Heimatland oder fallen bürokratische Verpflichtungen schwer?
Das klärt sich nur, wenn Mitarbeitende sich austauschen. Boeges Devise: „Immer nachfragen!“ Das gilt für Angestellte wie Führungskräfte, ganz gleich, welchen kulturellen Hintergrund sie haben. „Nachfragen kann auch in Unterweisungssituationen geübt werden. Sicherheitsbeauftragte könnten etwa absichtlich etwas fragen, damit andere merken: Das ist völlig okay.“
Anlaufstellen bieten
Auch Stefanie Rettmer, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Jan Pedd das Diversity-Management der Berliner Wasserbetriebe bildet, sieht es als interkulturelle Hauptaufgabe, mit Menschen zu sprechen und Bedürfnisse zu erfragen. „Wir müssen erst mal lernen, dass die eigene Lebensrealität nicht zwangsläufig auch die der Person neben mir ist.“ Die interkulturelle Komplexität kann auch überfordern. Gerade deshalb ist eine institutionalisierte Stelle wie das Diversity-Management wichtig: als Anlaufstelle für alle Mitarbeitenden mit Gesprächsbedarf und als Informationsquelle für Führungskräfte, um Teams zu begleiten und Zweifel zu klären. Bei Bedarf leitet das Management auch Fälle an die interne Beschäftigtenberatung oder externe Partner weiter.
Beim Onboarding unterstützen: Tipps für Sicherheitsbeauftragte
- Wissen aneignen: Sich mit der neuen Kultur vertraut machen. Nur wer verschiedene Kulturen kennt, versteht auch Unterschiede.
- Aktiv ansprechen und sich vorstellen: Neuen Mitarbeitenden das ehrenamtliche Wirken als Sibe für Arbeitsschutz erklären und sich als Ansprechperson auf Augenhöhe einführen.
- Offene Fragenkultur antreiben: Mit gutem Beispiel vorangehen, selbst Fragen stellen, zum Fragen ermutigen. Auch bei Kolleginnen und Kollegen nachfragen: Was ist ihnen aufgefallen?
- Peersysteme bilden: Sibe (vielleicht selbst mit Migrationshintergrund) können neue Mitarbeitende begleiten und eingewöhnen. Oder dazu motivieren, dass sich neue und langjährige Beschäftigte austauschen und kennenlernen.
Eine gesamtbetriebliche Aufgabe
Team-Events oder Betriebsfeiern stärken den persönlichen Austausch. „Man lernt sich auf kollegialer, privaterer Ebene kennen und versteht so die Lebensrealitäten von anderen Mitarbeitenden besser“, sagt Jan Pedd. „Das baut Vorurteile ab. Gleichzeitig kann sich das Diversity Management offiziell vorstellen, damit alle wissen, an wen sie sich mit individuellen Fragen zum Thema Vielfalt wenden können.“ Dafür nimmt das Team auch an Onboarding-Veranstaltungen teil oder besucht einzelne Betriebsstellen vor Ort.
Nicht jedes Unternehmen kann ein Diversity-Management stellen. Daneben gibt es aber auch niedrigschwellige Möglichkeiten. „Sicherheitsbeauftragte können beispielsweise in Peersystemen eine Ansprechperson auf Augenhöhe sein“, schlägt Boege vor. Also in Arbeits- oder Lerngruppen, in denen sich neue Mitarbeitende durch strukturierten Austausch über die Kompetenz und Erfahrung anderer ihre eigenen Arbeitsweisen ableiten können. „Oder sich im Vorfeld Wissen zum jeweiligen Herkunftsland aneignen“, denn wenn Angestellte merken, dass Interesse besteht, fällt das Nachfragen leichter.
Integrative Kompetenz ist aber nicht als Aufgabe Einzelner, sondern immer gesamtbetrieblich zu verstehen. Im Gespräch zeigt sich dann, ob der Diversity-Workshop für Führungskräfte und Belegschaft die richtige Herangehensweise ist. Oder ob Saisonarbeitskräfte die Anweisungen fürs Spargelstechen lieber mit Fotos statt Comics dargestellt bekommen. Oder dass, wie im „Horizonte“-Programm, der Betrieb bei Behördengängen und der Wohnungssuche hilft.