Arbeitssicherheit : „Miteinander sprechen und nachfragen“
Wird über die Integration von geflüchteten Menschen auf dem Arbeitsmarkt diskutiert, stehen meist bürokratische Hürden im Fokus. Genauso wichtig ist es aber, in der Praxis für Integration und gegenseitige Aufmerksamkeit zu sorgen. Denn wie alle Beschäftigten, müssen sie in Arbeitsabläufe und Sicherheitsanforderungen eingearbeitet werden. Wo besondere Bedarfe oder Risiken liegen und warum es keine universelle Integrationsanleitung geben kann, erklärt Dr. Katrin Boege vom Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG).
Frau Dr. Boege, wo können Risiken auftreten, wenn ich Mitarbeitende mit Fluchthintergrund beschäftige?
Das Risiko liegt natürlich nicht am Fluchthintergrund an sich. Problematisch können damit einhergehende fehlende Sprachkenntnisse werden. Etwa, wenn aus diesem Grund Unterweisungen nicht verstanden werden oder Persönliche Schutzausrüstung nicht richtig angelegt wird. Aber auch kulturelle Unterschiede können zu Missverständnissen im Arbeitsalltag und in Sicherheitsfragen führen. Weil Sprache im Vordergrund steht, machen sie sich manchmal erst auf den zweiten Blick bemerkbar, sind aber nicht zu vernachlässigen. Denn vielleicht herrscht im Heimatland ein anderes Hierarchieverständnis darüber, wer von wem Aufgaben annimmt. Vielleicht gibt es dort ein anderes Verständnis von Arbeitssicherheit oder Gesundheitsrisiken. Vielleicht sind es allein Gestiken oder Symbole, die falsch verstanden werden können und gegenseitige Verwirrung auslösen.
Leider sind geflüchtete Personen oft in sogenannten 3D-Jobs tätig (Anmerkung der Redaktion: dirty, dangerous, demeaning, dt.: dreckig, gefährlich, erniedrigend), die oft mit erhöhter Gesundheitsgefährdung einhergehen. Deshalb muss hier ganz besonders auf Verständnis und Nachvollziehbarkeit von Unterweisungsmaterialien geachtet werden.
Das Thema Integration am Arbeitsmarkt und in Arbeitsabläufen ist also äußerst komplex. Das kann verunsichern. Was wäre Ihr Tipp, um Bedenken aus dem Weg zu schaffen?
Am besten erstmal anfangen. Danach kann man evaluieren – und zwar mit allen gemeinsam. Deshalb ist wohl die wichtigste Maßnahme, nachzufragen. Es braucht eine offene Fragen- und Gesprächskultur, damit neue Mitarbeitende sich trauen, Dinge anzusprechen, die sie vielleicht nicht verstanden haben. Aber auch alteingesessene Beschäftigte, Sicherheitsbeauftragte oder Führungskräfte können und sollten Fragen stellen, damit Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund sich trauen, ebenfalls zu fragen. Interkulturalität ist eine Möglichkeit für Veränderungen und um Neues zu lernen.
Was kann die Belegschaft tun, wie kann sie helfen bzw. was sind ihre Aufgaben?
Zuerst ist es wichtig, sich nicht nur auf die Beschäftigten mit Migrationshintergrund als „Problemgruppe“ zu fokussieren. Integration muss als gesamtbetriebliche Aufgabe gedacht und geplant werden und geht alle etwas an, von der Führungskraft bis zu Kollegen und Kolleginnen am Fließband. Und ganz wichtig: Sie muss positiv konnotiert sein.
Aber natürlich braucht es dafür ein betriebliches Gesamtsystem, einen Plan. Dazu kann gehören, Arbeitsmaterialien auf verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen und Unterweisungen kreativer und gemeinschaftlicher zu gestalten. Etwa, indem man Paten- oder Peersysteme unter neuen und eingearbeiteten Beschäftigten etabliert. Also neu gestarteten Beschäftigten andere Mitarbeitende an die Seite stellt. Vielleicht gibt es Angestellte mit dem gleichen Migrationshintergrund aus zweiter oder dritter Generation, die helfen, verstehen und vermitteln können. Auch hier können sich Sicherheitsbeauftragte einbringen, sich zum Beispiel im Vorfeld mit der entsprechenden Kultur auseinandersetzen und Wissen aufbauen. Nur, wenn man eine Kultur kennt, ist man sensibel für Unterschiede und kann ein Verhalten einsortieren, das einem selbst eventuell nicht geläufig ist.
Kann es vorkommen, dass die Stammbelegschaft sich weniger gesehen fühlt, wenn neue Beschäftigte so viel Aufmerksamkeit bekommen? Wie können solche Gefühle aufgefangen werden?
Eine solche Reaktion kann zwar vorkommen, aber allen Beschäftigten muss auch klar sein – oder eben klargemacht werden – dass letztlich jeder und jede von einem wertschätzenden Miteinander profitiert. Natürlich gehört dazu auch, neuen Beschäftigten ebenfalls ans Herz zu legen, auf Kolleginnen und Kollegen zuzugehen und nachzufragen.
Weiterführende Informationen
Mehr zu Migration und Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit von der DGUV.
Umfrageergebnisse zu sicherem Arbeiten in multikulturellen Teams vom Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG).
Warum gibt es keine allgemeingültige Anleitung dafür, wie erst neu nach Deutschland gekommene Mitarbeitende (mit Fluchthintergrund) gut im Betrieb integriert werden?
Weil es immer auf die Umstände ankommt. Auf die Branche, den Bildungsgrad, das Herkunftsland. Besonders bei geflüchteten Personen ist auch die psychische Belastung zu bedenken und das Leben außerhalb der Arbeitszeit. Es wird viel von ihnen verlangt, etwa neben der Arbeit noch Deutschkurse zu besuchen oder behördlichen Verpflichtungen nachzukommen. Hier könnte man Beschäftigten ebenfalls aktiv Unterstützung anbieten.
Haben Sie weitere konkrete Tipps oder Beispiele für Maßnahmen, die gut funktioniert haben?
Immer erst mal den Kontakt suchen und die Menschen fragen: Was hilft euch bei dem jeweiligen Problem? Daraus kann zum Beispiel folgen, dass für Saisonarbeiter und -arbeiterinnen für die Spargelernte eine App entwickelt wurde, die Arbeitsanweisungen mithilfe von Fotos darstellt. Weil eine vorangehende Befragung gezeigt hatte, dass sie die Darstellungen über Comics nicht hilfreich fanden. In Verwaltungsjobs könnte man ein rotierendes Patensystem für das Mittagessen einführen, damit die Belegschaft sich kennenlernt. Oder man veranstaltet ein Betriebsfest, alle bringen Essen aus ihrem Herkunftsland mit, man tauscht sich aus, das stärkt das Verbundenheitsgefühl. Auch Führungskräfte sollten sich hier nicht rausnehmen, sondern aktiv mitgestalten.
Andere Unternehmen wiederum setzen sich mit ihren Beschäftigten mit Zuwanderungsgeschichte zusammen und besprechen gemeinsam, welche Inhalte von Betriebsanweisungen für sie in welcher Darstellungsform hilfreich sind. Und auch, was vielleicht nicht benötigt wird. Die Anweisungen werden dann daran angepasst und stark vereinfacht und die wesentlichen Dinge zur Arbeitssicherheit in einfacher Sprache verfasst, weil das für die Betroffenen in dieser Form am sinnvollsten ist. Auch die Teilnahme an Seminaren kann helfen, um im Vorfeld zu Sicherheits- und Gesundheitsfragen bei der Arbeit mit Geflüchteten zu sensibilisieren.