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Manipulation von Schutzeinrichtungen
Im Gespräch mit der Belegschaft können Sicherheitsbeauftragte auf Mängel bei der Maschinensicherheit hinweisen. © Frank Siemers

Arbeitssicherheit : Manipulation von Schutzeinrichtungen

Warum werden Schutzeinrichtungen manipuliert? Sicherheitsbeauftragte können Kolleginnen und Kollegen für die Bedeutung von Schutzvorrichtungen sensibilisieren.

Manchmal genügen bereits kleine Vorfälle, um große betriebliche Veränderungen in Gang zu setzen. Beim Kabelgarniturhersteller NKT war es das Fehlverhalten eines Mitarbeiters, das vor fünf Jahren eine ganze Welle an Innovationen auslöste, die dem Arbeitsschutz zugutekamen.

Damals wie heute arbeiteten die Beschäftigten bei NKT am Standort Nordenham an Spritzgussmaschinen, um Teile für Mittelspannungskabel zu fertigen. Der Druck, möglichst viele Teile in kurzer Zeit zu produzieren, war hoch. Denn der Betrieb entlohnte die Mitarbeitenden zu jener Zeit nach produzierter Stückzahl. Einige Beschäftigte verleitete das dazu, weniger auf Sicherheitsrisiken zu achten – so auch Marcel Reinke (Name von der Redaktion geändert).

Wie Schutzeinrichtungen manipuliert werden

Während seiner Schichten musste er die Düsen im Inneren der Spritzgussmaschine reinigen und die Anlage dafür abschalten, sodass währenddessen keine Teile produziert wurden. Um die Ausfallzeit zu verringern, bediente sich Reinke eines einfachen Kniffes: „Mit einem Holzstück überbrückte er den mechanischen Positionsschalter, der die Schutztür zum Innenraum überwachte, wo sich die Düsen befanden. Damit verhinderte er, dass sich die Anlage während der Reinigung ausschaltet“, erinnert sich Mahsum Danis, Leiter der Instandhaltung.

Er führt aus: „Normalerweise erkennt die Maschine, wenn sich die Schutztür öffnet, und schaltet sich automatisch ab. So wird sichergestellt, dass niemand in den Gefahrenbereich gelangt.“ Reinke überlistete die Steuerung jedoch: Die Maschine „dachte“, die Schutztür wäre geschlossen. So konnte sich Reinke bei laufendem Betrieb im Gefahrenbereich aufhalten – und die Zahl gefertigter Teile nach oben treiben.

Gut zu wissen

Warum gibt es Schutzeinrichtungen an Maschinen?

  • Schutzeinrichtungen sollen verhindern, dass Personen sich den Gefahrenstellen einer Maschine nähern. Dies geschieht entweder über ­feste, trennende Einrichtungen wie Schutzzäune und -abdeckungen oder bewegliche Elemente wie Schutztüren und Lichtschranken. Wenn sich die Tür öffnet oder die Lichtschranke unterbrochen wird, schaltet sich die ­Maschine automatisch ab.

Warum werden Schutzeinrichtungen in Unternehmen manipuliert?

  • Sie machen Arbeitsschritte aufwendiger.
  • Beschäftigte empfinden Schutzeinrichtungen als unbequem oder lästig.
  • Sie verhindern die freie Sicht auf Arbeitsprozesse.

Um über Schutzvorrichtungen ins Gespräch zu kommen, eignen sich die Dialogkarten der kommmitmensch-Kampagne.

Die Ursachen aufdecken

Dieser Vorfall ist kein Einzelfall. „In Deutschland wird rund ein Drittel aller Schutzeinrichtungen an Maschinen zeitweise oder dauerhaft manipuliert“, weiß Markus Tischendorf, Aufsichtsperson der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM). Grundsätzlich gilt dabei: Je stärker eine Schutzeinrichtung die Arbeit an der Maschine erschwert, desto größer ist der Anreiz, sie zu verändern.

„Betriebe sollten daher immer aktiv nach den Gründen der Manipulation fragen, wenn eine solche stattgefunden hat“, erklärt Tischendorf. Nur wenn sie die Ursachen beseitigen, können Betriebe sicherstellen, dass Schutzeinrichtungen künftig nicht erneut außer Kraft gesetzt werden.

Zeitentgelt statt Akkordlohn

Glücklicherweise erlitt Reinke keinen Unfall. Dennoch kam die Manipulation ans Licht. NKT setzte daraufhin eine Reihe weitreichender Maßnahmen um und sorgte damit für mehr Maschinensicherheit. Einer der ersten Schritte galt dem Lohnmodell. „Akkordentgelt fördert nicht das Sicherheitsbewusstsein an Maschinen“, weiß Hans Gronau, Geschäftsführer von NKT Nordenham.

„In so einem System kann es passieren, dass Beschäftigte zwischen Stückzahl und Sicherheit abwägen. Dazu darf es niemals kommen.“ Aus diesem Grund ersetzte NKT den Akkordlohn durch ein Zeitentgelt. „So konnten wir eine Arbeitsatmosphäre ohne Druck schaffen, in der es keinen Anreiz für Manipulation gibt.“

Funktionieren die Schutzeinrichtungen der Maschine ordnungsgemäß? Dies sollte vor Schichtbeginn kontrolliert werden. © Frank Siemers

Ursachen für Arbeitsunfälle

  • 25 % aller Arbeitsunfälle an stationären Maschinen gehen auf die Manipulation von Schutzeinrichtungen zurück. Quelle: Institut für Arbeitsschutz (IFA), 2019
  • 34.815 Arbeitsunfälle wurden im Jahr 2020 beim Bedienen einer Maschine gemeldet. Ein Teil davon nach Manipulation von Schutzeinrichtungen. Quelle: DGUV, 2020

Mehr Sicherheit mit moderneren Anlagen

Um den Manipulationsanreiz weiter zu verringern, passte NKT die Anlagen auch technisch an. So sind mittlerweile die meisten Spritzgussmaschinen im Werk mit einem modernen Lichtschranken-System ausgestattet. „Diese Schutzeinrichtung funktioniert wie ein unsichtbarer Vorhang. Durchbricht jemand den Lichtstrahl, schaltet sich die Maschine sofort automatisch aus“, erklärt Mahsum Danis. „Anders als rein mechanische Schutzeinrichtungen sind diese Systeme nahezu unmöglich zu manipulieren.“

Neben organisatorischen und technischen Veränderungen hat NKT die Qualifizierung der Beschäftigten in den Blick genommen. Konsequent werden diese für Unfallrisiken sensibilisiert, die im Zusammenhang mit Maschinen bestehen. Ein Beispiel hierfür ist ein Safety-Newsletter, über den der Betrieb einmal im Monat über verschiedene Arbeitsschutzthemen informiert, darunter auch sicheres Arbeiten an Maschinen.

Mit der „Safety Clock“ rückt NKT jeden Monat ein anderes Arbeitsschutzthema in den Fokus. © Frank Siemers

„Wir wollen den Mitarbeitenden vermitteln, dass der Mensch bei uns an erster Stelle steht. Mit den Newslettern wollen wir daher für mehr Aufklärung beim Thema Arbeitsschutz sorgen“, betont Jasmin Sewelies, die für Arbeitssicherheit und Gesundheitsmanagement bei NKT in Nordenham zuständig ist. Passend zum jeweiligen Thema des Newsletters findet jeden Monat auch eine Begehung durch Führungskräfte und Sicherheitsbeauftragte im Werk statt.

Dabei wird das Gespräch mit der Belegschaft gesucht und es werden Mängel zum entsprechenden Thema aufgedeckt. „Sicherheitsbeauftragte sind dabei ein wichtiges Bindeglied zwischen den Beschäftigten und den Führungskräften, weil sie zwischen beiden Seiten vermitteln“, so Sewelies. Insbesondere für die Angestellten sind sie wichtige Ansprechpersonen. Wenn sie von der Belegschaft von möglichen Missständen erfahren, können sie diese Bedenken an die Führungskraft weiterleiten.

Gegen Maschinenmanipulation können sich alle engagieren

Bei NKT weisen Sicherheitsbeauftragte auch im Betriebsalltag auf Unfallrisiken hin und sprechen Kolleginnen und Kollegen aktiv an. „Das ist insbesondere beim Thema Manipulation von Schutzeinrichtungen wichtig“, sagt die Arbeitsschutzexpertin. „Wenn ihnen auffällt, dass andere Mitarbeitende sich falsch verhalten, weisen sie ihre Kolleginnen und Kollegen darauf hin, das Verhalten zu ändern.“

Solche vertrauensvollen Gespräche sollen in der Belegschaft nicht zuletzt ein größeres Bewusstsein für den Arbeitsschutz schaffen. Denn auch die Beschäftigten selbst können sich einbringen: Wenn ihnen auffällt, dass eine Schutzeinrichtung eventuell manipuliert wurde – zum Beispiel, wenn eine Schutztür an einer Maschine nicht richtig schließt –, sollen sie die zuständige Führungskraft darauf hinweisen.

Jasmin Sewelies tauscht sich regelmäßig mit Sicherheitsbeauftragten wie René Tettenborn aus. © Frank Siemers

Meldesystem für Sicherheitsrisiken etablieren

Das Melden von Mängeln ist inzwischen über ein eigenes elektronisches Meldesystem möglich. „Mit ihrem Werkshandy fotografieren Mitarbeitende das Sicherheitsrisiko und beschreiben kurz die Situation“, sagt Sewelies. Die zuständige Führungskraft wird dann automatisch informiert und aufgefordert, die Missstände zu beseitigen.

Früher gab es für solche Fälle Meldezettel, die in einen Briefkasten eingeworfen oder auf dem Tisch der Vorgesetzten abgelegt wurden. „Dieses Vorgehen war sehr fehleranfällig. Jetzt geht keine Meldung mehr verloren. Das System hilft uns auch dabei, etwaige Manipulationen schneller festzustellen und dagegen vorzugehen“, berichtet Sewelies.

Sicherheitsbeauftragte erfüllen dabei eine wichtige Funktion: Nach vier Wochen kontrollieren sie, ob das Problem wirklich behoben wurde. Erst wenn sie im Meldesystem bestätigen, dass die entsprechende Verbesserungsmaßnahme wirklich umgesetzt wurde, ist der Vorgang abgeschlossen.

Gegen Fehlverhalten vorgehen

Damit Beschäftigte Schutzeinrichtungen nicht manipulieren, sollte Fehlverhalten geahndet werden. „Es ist sehr wichtig, die notwendigen arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen“, sagt Mahsum Danis. „Wenn jemand trotz Unterweisungen und anderen Informationsangeboten Schutzeinrichtungen manipuliert, dann müssen wir hart durchgreifen.“

Das Konzept scheint aufzugehen. Seit dem Vorfall vor fünf Jahren hat es bei NKT keinen vergleichbaren Verstoß mehr gegeben. „Nur durch kontinuierliche Sensibilisierung, Schulung und Information aller Mitarbeitenden haben wir es geschafft, das Sicherheitsbewusstsein auf ein höheres Level zu bringen“, resümiert Danis.

Tipps für Sicherheitsbeauftragte

  • Vor dem Kauf neuer Maschinen Kolleginnen und Kollegen fragen, ­welche Schutzeinrichtungen an Maschinen sie bevorzugen. Diese kann die Führungskraft im Lastenheft vermerken.
  • Auf Schulungsangebote aufmerksam machen. Unfallversicherungsträger wie die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse bieten kostenfreie Schulungen an.
  • In Erfahrung bringen, ob Maschinen und Schutzeinrichtungen im Betrieb den Anforderungen der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG entsprechen. Ist dies nicht der Fall, können sie dies den Führungskräften melden.