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Maschinen sicher warten, rüsten und reinigen
Schnittgefahr gebannt: Felix Halter (links) und Goran Odobasic (rechts) setzen die selbst entworfenen, individuell angepassten Schutzkappen auf die jeweiligen Klingen. © Alexandra Lechner

Arbeitssicherheit : Maschinen sicher warten, rüsten und reinigen

Unfälle bei der Wartung von Maschinen geschehen schnell. Mitarbeitende bei Freudenberg Sealing Technologies ­­haben Schutzaufsätze entwickelt, die vor Schnittverletzungen schützen.

In der großen Produktionshalle bei Freudenberg Sealing Technologies in Reichelsheim dröhnt und rattert es, Maschinen laufen, es riecht nach Kunststoff. Sechs hellgraue, etwa fünf Meter lange computergesteuerte Drehmaschinen stehen neben­einander, an einer ist die Schutztür am vorderen Maschinenende auf­geschoben. „Das geht nur, weil die Maschine stillsteht. Nur dann wird die Schutztür von der Steuerung entriegelt“, erklärt Felix Halter, als Health-, Safety- und Environment-Manager (HSE-Manager) in beratender Funktion in Arbeitssicherheitsfragen tätig. Er hält seine Hand ins Innere der Maschine. „Zu Demonstrationszwecken!“, betont er. „Niemand hier greift ungeschützt in die Maschine.“

Aus gutem Grund. Halters Arm passt nur gerade so ­zwischen die zwei sich gegenüberliegenden Drehspindeln. Drum herum ein kompliziertes System aus Schläuchen, Gelenken, Achsen – und auf jeder Seite Werkzeugträger mit linear oder kreisförmig auf ­einem Revolver angebrachten Klingen. Eine unbedachte Bewegung und Halter zöge sich eine tiefe Schnittverletzung zu. Das war in der Vergangenheit jährlich etwa 20 Kollegen und Kolleginnen passiert, wenn sie die Maschinen reinigten oder für ihre Schicht einrichteten.

Über den Klingen sind die roten Schutzkappen angebracht. So kann sich bei Reinigungsarbeiten niemand verletzen. © Alexandra Lechner

Verletzungen innovativ vermeiden

Mithilfe der Messer fertigen die ­Maschinen bis zu zehn Millionen Dichtungen im Jahr aus PTFE-Halbzeug (Polytetrafluorethylen), die dann in der Automobilindustrie etwa in Einspritzsystemen verbaut werden. „Öl dient in der Maschine als Achsenschmierstoff“, erklärt Halter, „daran bleiben winzige ­Späne haften, die bei der Produk­tion entstehen. Daher müssen Maschi­nenelemente wie die Klingen regelmäßig von den Mitarbeitenden selbst gereinigt werden – aber natür­lich ohne Verletzungsgefahr!“ Er greift an die Außenseite der Maschine, nimmt ein rotes, handflächengroßes, an Tetris-Steine erinnerndes Kunststoffteil von einem Haken und setzt es auf eine der Klingen.

Diese Abdeckungen wurden passgenau für jedes Messer der sechs Maschinen konzipiert und schützen bei Wartungs- oder Reinigungs­arbeiten gegen Schnittverletzungen. Entwickelt haben sie Halter und seine Kollegen Sergej Schmidt, Uwe Franzmathes und Business-Unit-Leiter Goran Odobasic. Das Team kann stolz ­berichten, dass sich seit der Ein­führung der Abdeckung niemand mehr an den Klingen verletzt hat. Für diese sicherheitstechnische ­Eigeninitiative hat der Betrieb 2024 den Preis „Arbeitsschutz ­GEWINNT!“ der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) gewonnen.

Unfälle bei der Instandhaltung

Beim Betreiben von Maschinen gilt es, nicht nur während der Nutzung verschiedene Sicherheits­aspekte zu beachten. Auch und gerade bei Instandhaltungsarbeiten wie Wartung und Reinigung geschehen schwere Arbeitsunfälle, wie die statistische Auswertung „Arbeitsunfallgeschehen 2023“ der Deutschen ­Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) belegt. Dafür wurden zum ersten Mal die Arbeitsunfälle spezifischer betrachtet und Rüstungs-, Instandhaltungs- und Reinigungs­arbeiten einzeln als Unfallursache berücksichtigt. Es zeigt sich: Unfälle bei diesen Tätigkeiten kamen zwar seltener vor, hatten aber schwerere Folgen als Unfälle während des laufenden Betriebs. Obligatorische Präventionsmaßnahmen für Maschi­nensicherheit – auch explizit bei ­Instandhaltungsmaßnahmen – sind in verschiedenen Technischen ­Regeln fest­gehalten. „Arbeitgebende sind verantwortlich, dass alle verwendeten Maschinen den für sie geltenden Rechtsvorschriften über Arbeitssicherheit entsprechen“, sagt Dirk Sticher, stellvertretender Leiter der Präventionsabteilung Tech­nische Sicherheit der BG RCI. ­Gemeint ist die Maschinenrichtlinie für neue Maschinen, die seit 1995 eine ­CE-Kennzeichnung für Sicherheit bei sachgemäßer Nutzung ­haben müssen, sowie die Betriebssicherheitsverordnung für Gebraucht­maschinen.

„Zudem muss eine Maschine im Laufe der Nutzung anhand der Gefährdungsbeurteilung auf den Stand der Technik überprüft und ­gegebenenfalls nachgerüstet werden“, erinnert der Experte. Doch auch dann können Maschinen noch Gefahren bergen. Wenn etwa Werkzeuge eingesetzt werden, die nicht zur Maschine selbst gehören. Wie die Klingen bei Freudenberg.

Prävention bei der Maschinen-Instandhaltung

Zur Instandhaltung gehört: Wartung (samt Reinigung), Inspektion und Instandsetzung/Reparatur.

Instandhaltung macht aus, dass sie: 

  • oft nur ohne trennende Schutzeinrichtungen möglich ist
  • oft auf engem Raum geschieht, weshalb Maßnahmen eventuell nur von einer Einzelperson ausführbar sind (obwohl mehrere Personen erforderlich)
  • gegebenenfalls der Kenntnis unterschiedlicher Fachrichtungen bedarf (etwa Elektrotechnik und Mechanik)
  • oft an Fremdfirmen mit Spezialkenntnis vergeben wird. Deren Beschäftigte sind sicher in Betriebsabläufe zu integrieren

Vor den Maßnahmen:

  • Art, Umfang und Ablauf der Instandhaltungsmaßnahmen festlegen
  • Mögliche Gefährdungen ermitteln und beurteilen (Gefährdungsbeurteilung)
  • Erforderliche Schutzmaßnahmen definieren
  • Bei Vergabe an Fremdfirmen: Sicherheitsanforderungen und Qualifikation des Personals festlegen

Gefährdungsbeurteilung – Risiken ermitteln bei:

  • dem instand zu haltenden Arbeitsmittel (etwa frei liegende Maschinenteile, angrenzende andere Maschine, Arbeitsstoffe)
  • den genutzten Arbeitsmitteln selbst wie etwa Handwerkzeugen
  • Gegebenheiten der Arbeitsstelle (kaum Bewegungsfreiheit, Absturzgefahr)
  • der Arbeitsorganisation (findet während des laufenden Betriebs statt, Termin- und Zeitdruck)

Technische Regel für Betriebssicherheit – TRBS 1112 Instandhaltung.

„Natürlich gab es auch vorher Schutzmaßnahmen“, bestätigt Uwe Franzmathes aus dem Projektteam. „Magnetische Abdeckungen etwa, deren Anbringen aber leicht zu ­Beschädigungen beziehungsweise zum Abbruch der dünnen Klinge führte. Auch Schutzhandschuhe der höch­sten Schnittschutzklasse boten keinen ausreichenden Schutz vor Durchstich, schützten nicht bis zum Ellbogen und schränkten die Feinmotorik der Mitarbeitenden zu stark ein.“

Sergej Schmidt demonstriert: Durch ihren Platz an der äußeren Maschinenwand sind die Schutzkappen stets griffbereit und jederzeit einsetzbar. © Alexandra Lechner

Herausforderung Praxistauglichkeit

Damit spricht der Prozesstechniker eine Herausforderung der Maß­nahmen zur Maschinensicherheit an: „Ein unzureichendes oder unpraktisches Schutzkonzept kann dazu führen, dass Mitarbeitende die Maßnahmen nicht anwenden, oder verleitet dazu, Maschinen zu ver­ändern und zu manipulieren“, weiß Sticher von der BG RCI. Das kann beim Ausführen der Tätigkeit gefährlich werden und bedarf einer Neubewertung der ­Gefahrensituation und eines Nachrüstens im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung. Das bleibt aber oft aus und führt jährlich zu bis zu 10.000 schweren Arbeitsunfällen.

Halter betont: „Deshalb war für uns eine einfach anwendbare Schutzeinrichtung so wichtig.“ Er und ­seine Teamkollegen haben die Kunststoffkappen so konzipiert, dass sie nicht nur unkompliziert anwendbar, ­sondern auch kostengünstig und ­recycelbar sind und im firmen­eigenen 3-D-Drucker hergestellt werden können. „Es sollte nicht der Mensch ans System angepasst ­werden, sondern das System an den Menschen. Dann wenden Mitar­beitende die Maßnahmen auch an.“

Manipulation vermeiden

Nicht immer kann durch die Maschinenkonstruktion verhindert werden, dass von der Maschine Gefahr ausgeht. In dem Fall wirken Schutzeinrichtungen und Sicherheitsvorkehrungen Gefahren entgegen.

Diese werden häufig für Rüstungs- und Instandhaltungsmaßnahmen sowie für die Störungsbeseitigung manipuliert, weil sie Wartungs- oder Arbeitsabläufe behindern, aus Zeitdruck oder wegen fehlendem Risikobewusstsein.

Das hilft, Manipulation zu verhindern:

  • Nur qualifiziertes Personal die Maschine bedienen, einrichten oder instand halten lassen.
  • Beschäftigte zum Betrieb der Maschine unterweisen, klare Sicherheitsregeln aufstellen und Konsequenzen bei Nichteinhaltung mitteilen.
  • Als Vorgesetzte regelmäßig die Einhaltung der Maßnahmen überprüfen.
  • Sicherheitsbeauftragte als Ansprechpersonen bekannt machen, wenn Beschäftigte ihre Tätigkeiten nicht sicher ausführen können oder Maßnahmen behindern.
  • Neue Maschinen sollten sicherer und nutzungsfreundlicher zu bedienen sein als die alten und technisch schwieriger zu manipulieren. Auch die sinnvolle Platzierung unterstützt beim Warten, Reparieren und Reinigen.

Checkliste der DGUV: Die Manipulation von Schutzeinrichtungen verhindern

Um herauszufinden, wo bei täglichen Arbeiten das System angepasst ­werden muss und wo es eher be­hindert, braucht es Austausch. Das weiß auch Thorsten Vonderheid, ­einer der Sicherheitsbeauftragten im Produktionsbereich. Er wird von Mitarbeitenden auf alle möglichen ­Risiken hingewiesen. „Stolperfallen im Bodenbelag oder scharfkantige Maschinenteile – ich nehme diverse Hinweise mit in das monatliche Sicher­heitskurzgespräch.“ Dort be­­sprechen Mitarbeitende, Sicherheitsbeauftragte, Fachkräfte für Ar­beits­sicherheit und Beschäftigte, die Maschinen einrichten und Schichten führen, wie mit wahrgenommenen Risiken und Bei­naheunfällen umzugehen ist. Denn von hydraulischen Pressen mit bis zu 300 Tonnen Druckkraft über Stickstoff, Aerosole bis zu Stäuben, Lasern und Gabelstaplern: In der Produktionshalle gibt es ­diverse mögliche Risiken. Die Verantwortlichen für Arbeitssicherheit müssen diese kennen, bewerten und verringern und sind dafür auf die Erfahrungswerte der Mitarbeitenden angewiesen.

Felix Halter, Sergej Schmidt, Goran Odobasic und Uwe Franzmathes (von links nach rechts) haben die Schutzkappen entwickelt. © Alexandra Lechner

Austausch auf vielen Wegen

Neben regelmäßigen Sicherheitskurzgesprächen sowie zwölf Sicherheitsrundgängen jährlich, die von den Sicherheitsverantwortlichen in diesem Betriebsbereich durch­geführt werden, arbeitet der Betrieb außerdem mit der selbst entwickelten App „FST Care App“. Dafür ­liegen in der Pro­duktions­halle ­diverse ­Tablets aus, über die Mitarbeitende jederzeit und ganz akut ­Belange einreichen können. „Tatsächlich wenden sie sich aber lieber persönlich an uns“, sagt HSE-­Manager Halter. „Deshalb sind Sicher­heitsbeauftragte wie Herr Vonderheid eine wichtige Schnittstelle, um uns Verantwort­lichen die Anliegen und Erfah­rungen aus dem Team zu vermitteln – aber auch, um etwa neue Sicher­heitsregelungen besser im Team zu integrieren. Nur so lässt sich Arbeitsschutz optimieren.“

Anpassen, prüfen, unterweisen

Auch die Abdeckungen konnten nur durch Feedback und kontinuierliche Anpassungen fertiggestellt werden. Anschließend fanden sie Aufnahme in der Betriebsanweisung der ­Maschine und alle Mitarbeitenden wurden in der Handhabung und im Nutzen unterwiesen, erklärt ­Odobasic. Experte Sticher bestätigt: „Bei solch kleineren Anwendungs­änderungen an Maschinen, die ­ledig­lich der Erhöhung des Sicherheitsniveaus dienen, liegt keine soge­nannte wesentliche Veränderung der Maschine vor. Dennoch muss danach anhand der Gefährdungs­beurteilung geprüft werden, dass die neue Schutz­einrichtung keine neuen ­Risiken birgt.“ Auch die Betriebsan­weisung muss erneuert werden. Bei Freudenberg wissen dadurch alle, die an den Drehmaschinen arbeiten, wie sie die Kappen sicher, schnell und unkompliziert anwenden. Schnell und unkompliziert – das sind wichtige Anforderungen für die Praktikabilität bei den täglichen ­Reinigungsarbeiten. Die Kappen erfüllen diese Anforderungen: Keine 30 Sekunden dauert es, sie von ihrem Haken an der Außenwand der Maschinen zu nehmen und sicher auf den Klingen anzubringen.

Die Schutzkappen werden im firmeneigenen 3-D-Drucker direkt vor Ort hergestellt. © Alexandra Lechner

Sicherheit im Team

Divisionsleiter Ralf Schmid, der ­allein in Reichelsheim für 600 Mit­arbeitende an mehr als 400 Maschinen verantwortlich ist, betrachtet die Handgriffe zufrieden. „Die Sicherheit der Beschäftigten ist das Aller­wichtigste. Wir setzen alles daran, das Unfallgeschehen auf null zu ­senken.“ Für größere Instand­hal­tungs­maßnahmen ist bei Freudenberg deshalb ein geschultes und ­extra ausgebildetes Team verantwort­lich – etwa für umfassende Ma­schinen­wartungen, Öl- oder Filter­wechsel. Für Instandhaltungsarbeiten braucht es gesonderte Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsan­weisungen, erklärt DGUV-Experte Sticher. Denn abseits vom Regelbetrieb können Gefahren auch explizit durch diese Maßnahmen an der Arbeitsstelle ausgehen, etwa wegen eingeschränkter Bewegungsfreiheit oder durch eingesetzte Hilfs- und Arbeitsmittel.

Klicktipp: Störungen auf der Spur

Instandhaltung und regelmäßige Wartung von Produktionsanlagen ist wichtig. Der Betrieb Multivac zeigt, wie die Aufgaben rund um die Instandhaltung optimiert werden können.

Für die Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter in der Produktionshalle aber sind die roten Kunststoffkappen ­inzwischen nicht mehr wegzu­denken. „Sie funktionieren deshalb so gut, weil wir bei der Konzeption an der Quelle des Problems angesetzt haben – und durch den Input von ­Beteiligten eine Lösung ent­wickeln konnten, die für alle leicht an­wendbar ist“, so Odobasic. Und weil der Effekt so groß ist, wurden ähn­liche Schutzkappen inzwischen auch für andere Maschinen mit poten­ziellem Verletzungsrisiko hergestellt, erzählt die Projektgruppe. So sorgt eine gute Idee vielfältig für mehr ­Sicherheit.