
Arbeitssicherheit : Manipulierte Schutzeinrichtungen
Es geschah ohne Vorwarnung: Als ein Mitarbeiter den Gefahrenbereich einer Palettieranlage betrat, wurde er von Klemmgreifern der Haubenüberziehmaschine tödlich am Kopf verletzt. Diese Maschine zieht einen Folienschlauch über Sackware, die auf Paletten gestapelt ist.
Eigentlich hätte der Beschäftigte beim Betreten eine Sicherheitslichtschranke durchschreiten müssen, die die Maschine sofort stillgelegt hätte. Doch die Lichtschranken am Ein- und Auslauf der Maschine waren außer Kraft gesetzt – offenbar, um Folienmaterial an der Maschine schneller austauschen zu können.
Maschinenmanipulation von Führungskräften gebilligt
Dieser tragische Unfall ereignete sich bereits 2011. Doch noch immer werden Schutzeinrichtungen von Maschinen häufig manipuliert. Und dies, obwohl bekannt ist, dass es dabei oft zu schweren Arbeitsunfällen kommt.
Umso schockierender sind die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) – denn sie lassen den Schluss zu, dass Vorgesetzte Manipulationen in Betrieben häufiger als angenommen billigen. In der zwischen Ende 2019 und Sommer 2022 durchgeführten Befragung unter 840 betrieblichen Arbeitsschutzfachleuten gaben mehr als 50 Prozent der Befragten an, dass Vorgesetzte in mindestens einem Fall von der Maschinenmanipulation wussten – und nichts unternahmen.
Falls Ihrer Erfahrung nach in Ihrem Betrieb bereits eine Schutzeinrichtung manipuliert wurde: War dies den Vorgesetzten bekannt?

Ein Viertel aller Maschinen ist manipuliert
Eigentlich sind Schutzeinrichtungen – so sagt es schon der Name – dazu da, vor Verletzungen durch Maschinen zu schützen. „Unsere Umfrage zeigt, dass ein Viertel aller Maschinen in Betrieben manipuliert sind, teils sogar dauerhaft“, sagt Stefan Otto, Prüfingenieur und Experte für Maschinensicherheit am IFA. Er hat die Umfrage durchgeführt.
Die Folgen der Manipulation gefährden Leben: Arbeitsschutzfachleute gehen davon aus, dass jeder vierte Arbeitsunfall an Maschinen auf manipulierte Schutzeinrichtungen zurückzuführen ist. Zum Teil enden diese Unfälle für die Beschäftigten tödlich.
Manipulierte Maschinen, um Arbeitsabläufe zu beschleunigen
Aber warum wird überhaupt manipuliert? „Häufig geht es darum, eine höhere Effizienz im Arbeitsablauf zu erreichen oder einen höheren Durchsatz zu erzielen“, sagt Stefan Otto. Weitere Gründe sind eine bessere Sicht oder ein einfacherer Zugriff auf das Werkstück.
Dafür würden etwa Verkleidungen, Einhausungen oder Schutzzäune abmontiert oder Lichtschranken überbrückt. Beschäftigte setzen Schutzsysteme von Baukranen außer Kraft, damit sie den Ausleger weiter ausfahren und schwerere Lasten heben können.

Checkliste und Unterweisungshilfe
Manipulation vorbeugen
- Ist sichergestellt, dass die Manipulation von Schutzeinrichtungen vorhandener Maschinen ausreichend erschwert ist?
- Wird bei Neuanschaffungen darauf geachtet?
- Lassen sich Maschinen reinigen und Störungen beheben, ohne dass Schutzeinrichtungen abgeschaltet werden müssen?
- Werden die Schutzeinrichtungen der Maschinen im Betrieb regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin geprüft?
- Wird das Thema Manipulation in firmeninternen Schulungen und Unterweisungen aufgegriffen?
- Gibt es ein klares Bekenntnis der Führungskräfte gegen die Manipulation von Schutzeinrichtungen?
In der fertigenden Industrie sind es häufig Sicherheitsschalter von Schutztüren, die manipuliert werden. Sie sorgen eigentlich dafür, dass die Maschine beim Öffnen der Schutztür abgeschaltet wird. Werden sie mithilfe sogenannter Ersatzbetätiger überbrückt, läuft die Maschine auch bei geöffneter Schutztür weiter.
Unfallzahlen infolge manipulierter Maschinen sind alarmierend
Dass solche Maschinenmanipulationen geschehen und Vorgesetzte sie teils sogar billigen oder unterstützen, sei häufig dem Effizienzdruck geschuldet, nennt Otto mögliche Gründe. So kann schneller auf Störungen reagiert, Werkstücke können direkt entnommen und eingesetzt und auf diese Weise die Produktivität erhöht werden.
Der Preis dafür ist hoch: In etwa der Hälfte der vom IFA befragten Unternehmen hatte es bereits früher Unfälle oder Beinahe-Unfälle gegeben, die auf die Manipulationen einer Schutzeinrichtung zurückgeführt werden konnten. Und: In Betrieben, in denen Vorgesetzte die Manipulationen duldeten, war die Unfallhäufigkeit noch höher.
Unterweisungshilfe - Manipulation von Schutzeinrichtungen verhindern
Eine neue DGUV Information bietet Hilfestellung bei der Durchführung einer erfolgreichen Unterweisung, bei der sich alle Beteiligten mit den Anreizen und Ursachen für die Manipulation von Schutzeinrichtungen vor Ort auseinandersetzen.
Manipulierte Maschinen
Sicherheitsbeauftragte können dazu beitragen, solche Manipulationen zu vermeiden. Sie können das Thema beispielsweise im Arbeitsschutzausschuss zur Sprache bringen. Und sie können Kolleginnen und Kollegen direkt fragen, an welchen Maschinen und bei welchen Tätigkeiten Manipulationsanreize gehäuft auftreten, und diese Erkenntnisse an die Betriebsleitung weitergeben.
Im Idealfall werden diese dann auch berücksichtigt, wenn neue Maschinen angeschafft werden. Sind diese dazu noch so konstruiert, dass sie Manipulationen erschweren, ist ein großer Schritt zu mehr Arbeitssicherheit getan.
„Vorwürfe sind zu vermeiden“
Manipulationen an Schutzeinrichtungen können verhindert werden – wie, erklärt Stefan Otto, Experte für Maschinensicherheit.
Klicktipp
Tipps und Praxishilfen, um die Manipultion von Schutzeinrichtunen an Maschinen vorzubeugen: stop-defeating.org

Herr Otto, was können Sicherheitsbeauftragte tun, um die Maschinensicherheit in Betrieben zu verbessern?
Sicherheitsbeauftragte sollten mit offenen Augen durch ihren Betrieb gehen und das Gespräch mit ihren Kolleginnen und Kollegen suchen. Denn im Vorfeld einer Manipulation besteht immer ein Anreiz, die Schutzeinrichtung zu umgehen. Dies kann etwa bei der Störungsbeseitigung oder der Instandhaltung einer Maschine der Fall sein.
Diese Anreize gilt es im Gespräch mit Bedienpersonen zu ermitteln, noch bevor es zur Manipulation kommt. Hiernach sollten Sicherheitsbeauftragte mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit und Vorgesetzten sprechen, um Wege zu finden, die Anreize zu mindern. Vorwürfe sind hierbei zu vermeiden, denn sie verhindern eher, dass es zu einer Lösung kommt.
Was können sie noch tun?
Sicherheitsbeauftragte sollten Führungskräfte auffordern, ein klares Bekenntnis gegen das Manipulieren von Schutzeinrichtungen abzulegen. Auch wenn dies bedeuten kann, dass durch eine notwendige Nachrüstung manipulationsgefährdeter Maschinen Kosten entstehen.
Die Sicherheit sollte im Unternehmen immer an erster Stelle stehen. Vorgesetzte machen am besten deutlich, dass sie Manipulationen von Maschinen in ihrem Betrieb nicht dulden und dass Herumbasteln an einer Schutzeinrichtung strengstens verboten ist.
Was, wenn Vorgesetzte Manipulationen dennoch dulden?
Vorgesetzte, die Manipulationen in ihrem Betrieb dulden, setzen damit Leib und Leben ihrer Beschäftigten aufs Spiel. Jeder Euro, der in die Sicherheit von Beschäftigten investiert wird, rentiert sich. Denn wenn es einen Unfall gibt, der durch Manipulation von Maschinen verursacht wird, dann wird das wesentlich teurer.