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Manipulierte Schutzeinrichtungen
Die Arbeit an Maschinen soll schnell und effizient sein. Zu oft geschieht dies auf Kosten der Sicherheit. © Adobe Stock/byjeng

Arbeitssicherheit : Manipulierte Schutzeinrichtungen

Manipulierte Schutz­ein­rich­tungen führen leicht zu schweren Unfällen. Dennoch sind viele Maschinen außer Kraft gesetzt – oft mit Wissen der Vorgesetzten.

Es geschah ohne Vorwarnung: Als ein Mitarbeiter den Gefahrenbereich ­einer Palettier­anlage betrat, wurde er von Klemmgreifern der Haubenüberziehmaschine tödlich am Kopf verletzt. Diese Maschine zieht einen Folienschlauch über Sackware, die auf Paletten gestapelt ist.

Eigentlich hätte der Beschäftigte beim Betreten eine Sicherheitslichtschranke durchschreiten müssen, die die Maschine sofort stillgelegt hätte. Doch die Lichtschranken am Ein- und Auslauf der Maschine waren ­außer Kraft gesetzt – offenbar, um Folienmaterial an der Maschine schneller austauschen zu können.

Maschinenmanipulation von Führungskräften gebilligt

Dieser tragische Unfall ereignete sich bereits 2011. Doch noch immer ­werden Schutzeinrichtungen von ­Maschinen häufig manipuliert. Und dies, obwohl bekannt ist, dass es ­dabei oft zu schweren Arbeits­unfällen kommt.

Umso schockierender sind die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) – denn sie lassen den Schluss zu, dass ­Vorgesetzte Mani­pulationen in Betrieben häufiger als angenommen billigen. In der zwischen Ende 2019 und Sommer 2022 durchgeführten ­Befragung unter 840 betrieb­lichen Arbeitsschutzfachleuten gaben mehr als 50 Prozent der Befragten an, dass Vorgesetzte in mindestens einem Fall von der Maschinen­manipulation wussten – und nichts unternahmen.

Falls Ihrer Erfahrung nach in Ihrem Betrieb bereits eine Schutzeinrichtung manipuliert wurde: War dies den Vorgesetzten bekannt?

Quelle: Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA); N=839 (Befragte aus der betrieblichen Praxis, mehrheitlich Fachkräfte für Arbeitssicherheit) © raufeld

Ein Viertel aller Maschinen ist manipuliert

Eigentlich sind ­Schutzeinrichtungen – so sagt es schon der Name – dazu da, vor Verletzungen durch Ma­schinen zu schützen. „Unsere U­mfrage zeigt, dass ein Viertel ­aller Maschinen in ­Betrieben manipuliert sind, teils sogar dauerhaft“, sagt ­Stefan Otto, Prüfingenieur und Experte für Maschinensicherheit am IFA. Er hat die Umfrage durchgeführt.

Die Folgen der Manipulation gefährden Leben: Arbeitsschutzfachleute gehen davon aus, dass jeder vierte Arbeitsunfall an Maschinen auf manipulierte Schutzeinrichtungen zurückzuführen ist. Zum Teil enden diese Unfälle für die Beschäftigten tödlich.

Manipulierte Maschinen, um Arbeitsabläufe zu beschleunigen

Aber warum wird überhaupt mani­puliert? „Häufig geht es darum, eine höhere Effizienz im Arbeits­ablauf zu erreichen oder einen ­höheren Durchsatz zu erzielen“, sagt ­Stefan Otto. Weitere Gründe sind eine ­bessere Sicht oder ein einfacherer ­Zugriff auf das Werkstück.

Dafür würden etwa Verkleidungen, Einhausungen oder Schutzzäune abmontiert oder Lichtschranken überbrückt. Beschäftigte setzen Schutzsysteme von Baukranen außer Kraft, damit sie den Ausleger ­weiter ausfahren und schwerere ­Lasten ­heben können.

In der fertigenden Industrie sind es häufig Sicherheitsschalter von Schutztüren, die manipuliert werden. Sie sorgen eigentlich dafür, dass die Maschine beim Öffnen der Schutztür abgeschaltet wird. Werden sie mithilfe sogenannter Ersatzbetätiger überbrückt, läuft die Maschine auch bei geöffneter Schutztür weiter.

Manipulation: Ersatzbetätiger überbrücken und setzen die Schutztür außer Kraft. © IFA

Checkliste

Manipulation vorbeugen

  • Ist sichergestellt, dass die Manipulation von Schutzeinrichtungen vorhandener Maschinen ausreichend erschwert ist?
  • Wird bei Neuanschaffungen darauf geachtet?
  • Lassen sich Maschinen reinigen und Störungen beheben, ohne dass Schutzeinrichtungen abgeschaltet werden müssen?
  • Werden die Schutzeinrichtungen der ­Maschinen im Betrieb regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin geprüft?
  • Wird das Thema Manipulation in firmeninternen Schulungen und Unter­weisungen aufge­griffen?
  • Gibt es ein klares Bekenntnis der Führungskräfte gegen die Manipu­la­tion von Schutzeinrichtungen?

Unfallzahlen infolge manipulierter Maschinen sind alarmierend

Dass solche Maschinenmanipulationen geschehen und Vorgesetzte sie teils sogar billigen oder unterstützen, sei ­häufig dem Effizienzdruck geschuldet, nennt Otto mögliche Gründe. So kann ­schneller auf ­Störungen reagiert, Werkstücke können direkt entnommen und eingesetzt und auf diese Weise die ­Produktivität ­erhöht werden.

Der Preis dafür ist hoch: In etwa der Hälfte der vom IFA befragten Unternehmen hatte es bereits früher Unfälle oder Beinahe-Unfälle gegeben, die auf die Manipulationen einer Schutz­ein­richtung zurückgeführt ­werden konnten. Und: In Betrieben, in ­denen Vorgesetzte die Manipulationen ­duldeten, war die Unfallhäufigkeit noch höher.

Manipulierte Maschinen

Sicherheitsbeauftragte können dazu beitragen, ­solche Manipulationen zu vermeiden. Sie können das Thema beispielsweise im Arbeitsschutzausschuss zur Sprache bringen. Und sie können ­Kolleginnen und Kollegen direkt fragen, an welchen ­Maschinen und bei welchen Tätig­keiten Manipulationsanreize gehäuft auftreten, und diese Erkenntnisse an die Betriebsleitung weiter­geben.

Im Idealfall werden diese dann auch berücksichtigt, wenn neue Maschinen an­geschafft werden. Sind diese dazu noch so konstruiert, dass sie Manipulationen erschweren, ist ein ­großer Schritt zu mehr Arbeitssicherheit ­getan.

„Vorwürfe sind zu vermeiden“

Manipulationen an Schutzeinrichtungen können verhindert werden – wie, erklärt Stefan Otto, Experte für Maschinensicherheit.

Klicktipp

Tipps und Praxishilfen, um die Manipultion von Schutzeinrichtunen an Maschinen vorzubeugen: stop-defeating.org

Stefan Otto, Prüfingenieur Funktionale Sicherheit, Bereich Maschinensicherheit, beim Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) © Privat

Herr Otto, was können Sicher­heits­beauftragte tun, um die Maschi­nen­sicherheit in Betrieben zu ­verbessern?

Sicherheitsbeauftragte sollten mit offenen Augen durch ihren Betrieb gehen und das Gespräch mit ihren Kolleginnen und Kollegen suchen. Denn im Vorfeld einer Manipula­tion besteht immer ein Anreiz, die Schutzeinrichtung zu umgehen. Dies kann etwa bei der Störungsbeseitigung oder der Instand­haltung einer Maschine der Fall sein.

Diese Anreize gilt es im Gespräch mit Bedienpersonen zu ermitteln, noch bevor es zur Manipulation kommt. Hiernach sollten Sicherheitsbeauftragte mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit und Vorgesetzten sprechen, um Wege zu finden, die Anreize zu mindern. Vorwürfe sind hierbei zu vermeiden, denn sie verhindern eher, dass es zu einer Lösung kommt.

Was können sie noch tun?

Sicherheitsbeauftragte sollten Führungskräfte auffordern, ein klares Bekenntnis gegen das ­Manipulieren von Schutzein­rich­tungen abzulegen. Auch wenn dies bedeuten kann, dass durch eine notwendige Nachrüstung mani­pulationsgefährdeter Maschinen Kosten entstehen.

Die Sicherheit sollte im Unternehmen immer an erster ­Stelle stehen. Vorgesetzte machen am besten deutlich, dass sie Manipulationen von Maschinen in ­ihrem Betrieb nicht dulden und dass Herum­basteln an einer Schutzeinrichtung strengstens verboten ist.

Was, wenn Vorgesetzte Mani­pulationen dennoch dulden?

Vorgesetzte, die Manipulationen in ihrem Betrieb dulden, setzen damit Leib und Leben ihrer Beschäftigten aufs Spiel. Jeder Euro, der in die Sicherheit von Beschäftigten investiert wird, rentiert sich. Denn wenn es einen Unfall gibt, der durch Manipulation von ­Maschinen verursacht wird, dann wird das wesentlich teurer.