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Sicheres Arbeiten in der Höhe
Auch wenn der Koloss flach auf dem Rücken liegt: Vier Meter reichen für gefährliche Absturzunfälle. Die Geländer zu deren Verhinderung wurden bereits angebracht. © timluhmann.de

Arbeitssicherheit : Sicheres Arbeiten in der Höhe

Im Düsseldorfer Kranbau-Unternehmen Konecranes wird durch Offenheit und tatkräftiges Miteinander eine Kultur der Prävention gelebt.

Was für ein Koloss! Der Unterwagen, der gerade in Halle 72 bei Konecranes in Düsseldorf auf seine Weiterverarbeitung wartet, zieht alle Blicke auf sich. Die geschweißte Baugruppe mit einer Länge von 20 Metern und einem Gewicht von 60 Tonnen wird einmal das unterste Segment eines Hafenmobilkrans bilden, den das Unternehmen gerade produziert. Der Wagen liegt mit der Unterseite nach oben, damit die Konstruktionsmechaniker Lagerböcke, Kabelkanalhalterungen und Achshalter anbauen können. Damit niemand in die Revisionsluken fällt, decken passgenaue Bleche die Öffnungen ab. Rund fünf Tage dauern die Montagearbeiten, dann geht es weiter in die Lackiererei.

Eine Hand betätigt einen Hebel. © timluhmann.de

Absturzsicherung

Deutschlandweit gab es im Jahr 2017 über 25.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle durch Abstürze von baulichen Einrichtungen (z. B. Leitern oder Gerüste) während einer betrieblichen Tätigkeit. Gut vier Meter hoch ist der Unterwagen in der Montagehalle bei Konecranes. Das ist zwar nur ein Bruchteil der Gesamthöhe des fertigen Krans, doch auch das Arbeiten wenige Meter über dem Boden ist potenziell sehr gefährlich. In der Vergangenheit sicherten sich die Konstruktionsmechaniker bei Konecranes mit einer Persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) in Form von Sicherungsgeschirr und Halteseilen.

Oft empfanden die Beschäftigten die Schutzausrüstung als störend. „Mit den Gurten sind wir schnell an den Anbauten hängengeblieben“, erinnert sich der Konstruktionsmechaniker und Sicherheitsbeauftragte Sebastian Loeven. Er bemängelte schon seit einiger Zeit, dass die Anschlagpunkte für die Halteseile ebenerdig zu montieren waren: „So bestand immer die Gefahr des Stolperns. Außerdem fühlte man sich unsicher in dem Geschirr.“ Auch Gunnar Kant, Manager Health, Safety & Environment (HSE) bei Konecranes und zudem Fachkraft für Arbeitssicherheit, war sich der Stolpergefahr bewusst. Außerdem stellte man fest, dass ungünstige Einflüsse wie Schweißfunken und Lacknebel dem Sicherungsgeschirr auf Dauer zusetzen. „Wenn man das nicht weiß, vermittelt die PSAgA nur noch eine scheinbare Sicherheit, die im Ernstfall gegebenenfalls nicht mehr ausreicht“, erklärt Kant. In engem Austausch mit der Aufsichtsperson Jan Stegmann von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) entwickelte ein sechsköpfiges Team um Gunnar Kant eine Lösung, mit der die Beschäftigten sicher in der Höhe arbeiten können: ein magnetisches Geländer. Von der BGHM erhielt Konecranes für diese Innovation den „Schlauen Fuchs“, eine Auszeichnung, die für besonderes Engagement im Arbeitsschutz verliehen wird.

Technische Schutzmaßnahme

Bevor die Lösung gefunden werden konnte, analysierte das Team zunächst mögliche Veränderungen. „Wir wollten weg von der Persönlichen Schutzausrüstung und hin zu technischem Schutz. Weil unsere Lösung sowohl dauerhaft einsetzbar als auch flexibel sein sollte, kam uns schnell die Idee mit der magnetischen Halterung“, erinnert sich Kant. Das System funktioniert in der Praxis ganz einfach: Die Geländer, die sicherheitsgerecht mit Handlauf, Knie- und Fußleiste ausgestattet sind, werden mit dem Hallenkran angehoben und durch Magnete kraftschlüssig an der Baugruppe befestigt. In der Regel werden an einem Unterwagen vier Geländer von je 4,40 Meter Länge angebracht. Diese können zudem mit einer seitlichen Verlängerung um 0,60 oder 1,10 Meter erweitert sowie je nach Einsatzart noch weiter angepasst werden. Dass mit dieser Lösung keine Auffanggurte mehr nötig sind, erhöht die Sicherheit der Beschäftigten und ermöglicht ihnen auch größere Flexibilität, beispielsweise bei Schweißarbeiten. So ergab sich durch die Schutzmaßnahme gleichzeitig ein Effizienzvorteil für die Produktion.

Gemeinsam ans Ziel

Für die technische Umsetzung waren Beschäftigte aus dem Konstruktionsbereich zuständig. In Versuchen ermittelten sie, ob die horizontalen und vertikalen Kräfte, die die Magnete aufnehmen müssen, den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und ob die Magnete auf Dauer halten. Auch der Sicherheitsbeauftragte Sebastian Loeven gehörte zu dem Team, das an der Entwicklung der Magnetgeländer beteiligt war. Er brachte Erfahrungen aus der täglichen Praxis des Konstruktionsmechanikers ein. „Zum Beispiel war es mir neben der Sicherheit auch wichtig, dass sich das Geländer rasch anbringen lässt“, berichtet Loeven. Anfängliche Bedenken, dass die beim Schweißen auftretenden Ströme die Magnethaltekraft abschwächen könnten, bestätigten sich bei den Tests nicht. Auch war die alternative Idee, die Geländer mit Schrauben, Klemmen oder Stahlseilen zu befestigen, schnell verworfen. Zu umständlich für das flexible Arbeiten im Produktionsbereich! Seit 2005 arbeitet Loeven bei Konecranes. Der heute 31-Jährige montiert im Stahlbau die Turmausleger, die an den Kranen angebracht werden. Seit zwei Jahren bringt er als Sicherheitsbeauftragter seine Erfahrungen ein. Dabei steht er in regelmäßigem Austausch mit den 16 weiteren Sicherheitsbeauftragten. Auf Einladung von Gunnar Kant treffen sie sich alle drei Monate, um die Sitzung des Arbeitssicherheitsausschusses (ASA) vorzubereiten. „Dann besprechen wir, welche Themen auch abteilungsübergreifend anliegen“, erklärt Loeven. Alle Angelegenheiten, die die Sicherheitsbeauftragten nicht direkt selbst klären können, bringen sie in die ASA-Sitzung ein. „Dort haben wir auch Gelegenheit, Dinge gegenüber der Geschäftsführung und dem Werksleiter anzusprechen“, so Loeven. Diese offene und gewollte Gesprächskultur unterstützt die Sicherheitsbeauftragten bei ihrem täglichen Einsatz für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.

Regelmäßige Rundgänge

Jeden Freitag gehen Führungskräfte, die Betriebsärztin, Betriebsratsmitglieder, Sicherheitsbeauftragte und die Fachkraft für Arbeitssicherheit durch einen der Arbeitsbereiche im Düsseldorfer Werk, um dort den Arbeitsschutz unter die Lupe zu nehmen. Und noch eine weitere Maßnahme dieser Art gibt es: Einmal im Monat inspizieren die einzelnen Sicherheitsbeauftragten gemeinsam mit einem „externen“ Kollegen ihren jeweiligen Arbeitsbereich. Sebastian Loeven hält viel von diesen Rundgängen: „Der andere Sicherheitsbeauftragte geht mit einem ganz unbefangenen Blick an die Sache heran und hinterfragt Dinge, die für mich aus der Routine heraus vielleicht völlig selbstverständlich sind.“ So lassen sich Mängel und Missstände frühzeitig feststellen und beheben. Der Charakter dieser Rundgänge ist positiv und wertschätzend. Anstatt mit dem Finger auf vermeintliche Fehler zu zeigen, steht die Frage im Vordergrund, warum etwas bisher so und nicht anders gemacht wurde und wie gegebenenfalls besser oder sicherer gearbeitet werden kann.

Offener Umgang

Wenn Fehler oder Mängel festgestellt werden, geht man konstruktiv damit um. Seit etwas mehr als zwei Jahren werten Gunnar Kant und sein Team auch Beinahe-Unfälle sowie Beobachtungen zu unsicheren Zuständen aus. Auf allen Diensthandys ist eine App installiert, mit der Beobachtungen gemeldet werden können. Darüber hinaus stehen im gesamten Werk 13 Infopoints, an denen die Beschäftigten Sicherheitsmängel oder Vorschläge auf Zetteln notieren können. Ob sie für Rückfragen ihren Namen angeben, bleibt ihnen überlassen. Doch die meisten tun es. „Wir bedanken uns bei den Leuten, wenn sie uns Hinweise geben“, erklärt Gunnar Kant. Der Erfolg: Es ist den Beschäftigten ein gemeinsames Anliegen, dass nach der Schicht alle wieder gesund nach Hause gehen.

Immer besser werden

Die Gemeinschaftsaufgabe Arbeitsschutz ist in der Belegschaft angekommen. So erhält auch der Sicherheitsbeauftragte Markus Brors regelmäßig Nachrichten mit Verbesserungsvorschlägen auf sein Handy. „Ich weiß es sehr zu schätzen, wenn die Kollegen sich die Zeit nehmen, sich zu melden“, betont der 43-jährige Industrielackierer. Brors ist seit zehn Jahren im Unternehmen. Seit drei Jahren engagiert er sich darüber hinaus als Sicherheitsbeauftragter und seit einem Jahr ist er Mitglied des Betriebsrats. Auch Brors freut sich über die Lösung mit den Magnetgeländern, denn er weiß: „Mit der Persönlichen Schutzausrüstung sind wir an Grenzen gestoßen.“ Das Prinzip, den Arbeitsschutz nach Möglichkeit durch technische Lösungen voranzubringen, hat sich bei Konecranes schon an verschiedenen Stellen bewährt. So hat das Unternehmen vor drei Jahren begonnen, Leitern durch Podeste zu ersetzen, mittlerweile sind sie zu rund 70 Prozent ausgetauscht. Auch bei solchen Maßnahmen spielen die Sicherheitsbeauftragten eine Schlüsselrolle. Ein Beispiel ist Marco Vogler, der im gesamten Produktionsbereich präsent ist und bei anstehenden Bestellungen auf neuere und sicherere Produkte hinweist. Sein Anliegen: „Wo immer es geht, verbessern wir unser Equipment.“