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Mobbing den Riegel vorschieben
Klare Haltung beziehen gegen Mobbing am Arbeitsplatz: Dabei können auch Sicherheitsbeauftragte unterstützen. © Getty Images/Suchat Longthara

Gesundheitsschutz : Mobbing den Riegel vorschieben

Mobbing kann krank und den Arbeitsalltag unerträglich machen. Die Lebenshilfe Schweinfurt hat ein Schutzkonzept etabliert, das vor allem auf Aufklärung setzt.

„Meine Kollegin mobbt mich!“ Es ist ein paar Jahre her, dass Sascha Turtschany zum ersten Mal mit einer solchen Aussage konfrontiert wurde. Der Gesamtleiter der Wohneinrichtungen der Lebenshilfe Schweinfurt mit 330 Mitarbeitenden will darauf angemessen reagieren. Schnell merkt er aber: Zum Thema Mobbing gibt es unterschiedliche Auffassungen im Team – und viele Frage­zeichen zum Umgang mit solchen Vorwürfen, auch bei den Führungskräften. Zudem stellt der Sozialpädagoge fest, „dass der Begriff Mobbing bei Konflikten recht schnell genutzt wurde“. Doch wo endet ein normaler Konflikt und wo beginnt Mobbing?

„Einmal streiten ist natürlich nicht gleich Mobbing“, sagt Dr. Carola Ernst vom Sachgebiet „Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt“ der DGUV. „Mobbing bedeutet, dass eine Person systematisch und über einen längeren Zeitraum schikaniert, drangsaliert, benachteiligt und ausgegrenzt wird.“ Das kann am Arbeitsplatz passieren, aber auch in jedem anderen Sozialge­füge. Das Ziel sei laut Ernst immer, einer Person zu schaden – mit den unterschiedlichsten Mitteln.

Die vier Phasen von Mobbing

Phase 1: Konflikt schüren

Fiktives Beispiel: Ein langjähriger Mitarbeiter ist wütend, weil eine neue Kollegin direkt eine vermeintlich bessere Position im Team bekommt. Mit seinem Vorgesetzten spricht er nicht, sondern macht im Team abfällige Bemerkungen über die Kollegin, auch in ihrer Anwesenheit. Er stellt sie als „falsche Schlange“ dar, die sich beim Vorgesetzten angebiedert habe.

Phase 2: Psychoterror

Der Mitarbeiter unterstellt der Kollegin grundlos Fehler, Faulheit und Versäumnisse. Nach und nach wird sie auch von weiteren Teammitgliedern gemieden, von gemeinsamen Unternehmungen und Mittagessen ausgeschlossen. Alle ungeliebten Aufgaben, die sich das Team eigentlich teilen soll, werden ihr zugeschoben.

Phase 3: Eskalation

Die gemobbte Kollegin ist völlig verun-sichert und wendet sich an den Vorgesetzten – doch der redet ihren Leidensdruck klein. Das Team nennt ihm auf Nachfrage die unbegründeten Vorwürfe gegen die Kollegin. Da diese aufgrund ihrer Verunsicherung und akuten Schlafprobleme mittler-weile wirklich viele Fehler macht, in Meetings schweigt und häufig krank ist, scheinen sich die Vorwürfe zu bestätigen.

Phase 4: Ausschluss

Die Kollegin kann ihre Aufgaben nicht mehr bewältigen, auf mehrere Abmahnungen folgt die Kündigung. Im Anschluss muss sie wegen Angst-zuständen monatelang in eine Therapie, -bevor sie wieder arbeitsfähig ist.

Ausprägungen von Mobbing mit steigender Eskalation

So können etwa Gerüchte in die Welt gesetzt und einer Person gezielt Fehler angekreidet werden. Sie kann aus sämtlichen Gesprächen ausgegrenzt oder ganz offen angefeindet, lächerlich gemacht oder unverhältnismäßig kritisiert werden. Meist folgt Mobbing vier Phasen, in denen sich der Leidensdruck für die Betroffenen zuspitzt.

Kennen Verantwortliche diese Fakten, können sie auf Mobbingvor­würfe besser reagieren und Betroffenen gezielt helfen. Bei der Lebenshilfe Schweinfurt wurden die damaligen Vorwürfe zwar entkräftet, es handelte sich lediglich um einen Streit. „Für uns war dennoch klar, dass wir uns mit der Thematik beschäftigen müssen“, so Turtschany. Deswegen stieß er im Jahr 2019 ein Mobbingkonzept für den Teilbereich Wohnen der Lebenshilfe an. „Der erste Schritt war die Schulung aller Führungskräfte“, so Turtschany.

Auch Sicherheitsbeauftragte können sich einbringen

An der Schulung nahm auch Jens Freiwald teil. Er ist Hausleiter und seit einem Jahr Sicherheitsbeauftragter. Dass er das Ehrenamt als Führungskraft übernahm, hat organisatorische Gründe. Das Basis­wissen aus der Schulung kommt ihm auch für seine Rolle als Sicherheitsbeauftragter zugute. „Jetzt haben wir handfestes Hintergrundwissen, wenn der Begriff Mobbing fällt“, so Freiwald. „Ich kann beobachten, ob es im Team Konflikte oder mögliche Fälle von Mobbing gibt, und entsprechend reagieren.“ Etwa indem er Betroffene ermutigt, sich an ihre Vorgesetzten oder eine andere Vertrauensperson zu wenden.

Von Mobbing Betroffene werden oft mit falschen Anschuldigungen überzogen und schlechtgemacht. © Getty Images/Shironosov

Als weitere Maßnahme wurde in ­Zusammenarbeit mit der Mitarbeitendenvertretung der Lebenshilfe eine Dienstvereinbarung zum Umgang mit Mobbing aufgesetzt. Diese gibt einen klaren Ablaufplan vor. Zum Beispiel, wann und wie Verantwortliche auf Betroffene und potenzielle Täter­innen und Täter zugehen. Angefangen bei Einzelgesprächen und dem Erarbeiten von Lösungsansätzen bis zum moderierten Gespräch mit beiden Konfliktparteien. Verantwortlich dafür ist die Führungskraft. Idealerweise kennen aber auch Sicher­heitsbeauftragte diesen Ablaufplan und können in Konfliktsituationen daran erinnern. „Ich begrüße es sehr, dass wir jetzt so für das Thema sensibilisiert sind“, so Freiwald.

Betroffene schützen – nicht die Täterinnen und Täter

Auch die weiteren Schritte sind bei der Lebenshilfe klar geregelt: Bringen Gespräche keine Verbesserung und bestätigt sich der Mobbing­vorwurf, drohen der Täterin oder dem Täter arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung. Diese Aspekte zu verschriftlichen, sei ganz wichtig, betont DGUV-­Expertin ­Carola Ernst: „Es muss klar sein, dass es Konsequenzen gibt für die Person, die mobbt. Und nicht für die Person, die gemobbt wird.“

Werden Betroffene alleingelassen, kann das massive gesundheitliche Folgen haben. „Sie fragen sich ­immer wieder: Was habe ich ­getan, dass ich so behandelt werde?“, sagt Ernst. Auf die Verunsicherung ­können Ängste, Schlafstörungen und konstante Anspannung folgen. Zudem kann Mobbing Depressionen und Suchtverhalten begünstigen – und jeden einzelnen Arbeitstag zur Qual werden lassen. Deswegen gilt, auch wenn die Gemengelage ­zunächst unklar sein sollte: Mobbingvorwürfe müssen unbedingt ernst genommen und genau überprüft werden. „Die Unternehmensführung muss eine klare Haltung beziehen und diese auch kommunizieren“, so Ernst. Wenn sie Rückendeckung erwarten können, falle es Betroffenen leichter, sich an Vor­gesetzte, die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt oder auch an die Personalvertretung zu wenden.

Klicktipp: Fallbeispiele

Fallbeispiele in der DGUV Information „Stress, Mobbing & Co.“ veranschaulichen die psychische Belastung bei Mobbingvorfällen.

Günstige Arbeitsbedingungen senken das Mobbingrisiko

Zudem sollten Betriebe laut Carola Ernst „ungünstige Rahmenbe­dingungen“ in den Blick nehmen. Ein zu hohes Arbeitsaufkommen und daraus resultierender Stress kann Mobbing befördern. Das Gleiche gilt für mangelnde Wertschätzung und Transparenz vonseiten der Führungskräfte. Solche Risiken müssen im Rahmen der Gefährdungsbeur­teilung ermittelt und entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden.

Sascha Turtschany von der Lebens­hilfe Schweinfurt weiß aber auch: „Es wird immer Leute geben, die ­sagen, das betrifft mich nicht.“ Umso wichtiger sei es, das Mobbing­konzept aktuell zu halten, damit es nicht in Vergessenheit gerät. ­Des­wegen plant er in diesem Jahr ­weitere Schulungen zu Mobbing. Nicht zuletzt, damit auch neue ­Kolleginnen und Kollegen über das notwendige Basiswissen verfügen.