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Präsentismus vermeiden
Bei Atemwegserkrankungen wie Schnupfen gehen viele Beschäftigte dennoch zur Arbeit. © Foto: Getty Images/Recvisual

Gesundheitsschutz : Präsentismus vermeiden

Gehen Beschäftigte trotz Krankheit ihrer Tätigkeit nach, spricht man von Präsentismus. Es ist wichtig, im Betrieb für die Risiken zu sensibilisieren.

Meist wirkt es harmlos, mal gerade ein paar E-Mails zu beantworten, obwohl man sich eigentlich zu Hause schonen sollte. Manchmal gibt es Anerkennung, wenn jemand krank zur Arbeit erscheint, damit ein Projekt oder eine Schicht nicht ins Stocken gerät. Doch auch bei einer leichten Erkrankung ist es nicht ratsam, weiterzuarbeiten. Das Phänomen, wenn Angestellte krank ihrer Tätigkeit nachgehen, nennt sich Präsentismus. Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht produktiv, kann sich aber langfristig negativ auf die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit auswirken. Fehlerquoten steigen, Erkrankungen können chronisch werden.

Wenn sich eine Person krank fühlt, leidet außerdem die Konzentration. Die Folge: Das Risiko für Arbeitsunfälle steigt. Die Ursachen für Präsentismus sind vielfältig. Ein Faktor ist die Arbeitsbelastung, die einen Ausfalltag kaum kompensierbar erscheinen lässt. Ein weiterer ist die Sorge vor beruflichen Nachteilen. Auch unsichere Wirtschaftslagen der Befristungen in Arbeitsverträgen spielen eine Rolle. Besonders betroffen sind außerdem Mangelberufe mit dünner Personaldecke wie in der Pflegebranche. Fehlen Vertretungen, möchten Beschäftigte ihren Kolleginnen und Kollegen nicht zur Last fallen – und erscheinen krank zur Arbeit. Vor allem im Homeoffice neigen Angestellte dazu, trotz Krankheit weiter ihrer Tätigkeit nachzugehen. Dies kann unter anderem an mehr Gestaltungsraum für Pausen und Ruhezeiten sowie dem Wegfall von Arbeitswegen liegen.

Gut zu wissen

Hauptursachen für Präsentismus

Die nicht-repräsentative Studie „Präsentismus in einer zunehmend mobilen Arbeitswelt“ (2022) der Techniker Krankenkasse hat nach Gründen gesucht, warum Beschäftigte krank arbeiten. Demnach sind es:

  • Vertretungsregeln fehlen.
  • Die Krankheit sei nicht ansteckend.
  • Sie möchten Kolleginnen und Kollegen nicht zur Last fallen.
  • Es gibt dringende Arbeiten oder Termine.
  •  Sie haben Spaß an der Arbeit.

Die Studie „Arbeiten 2022“ der Pronova BKK kommt zu dem Ergebnis, dass drei Viertel der Berufstätigen krank zur Arbeit gehen. Beschäftigte gehen am häufigsten weiter ihrer Tätigkeit nach, bei:

1. Rückenschmerzen

2. Beschwerden aufgrund von Allergien

3. psychosomatischen oder psychischen Beschwerden

4. leichten Erkrankungen

5. ansteckenden Infekten

6. Atemwegserkrankungen

7. Verletzungen des Bewegungsapparates

Äußerer Druck durch zu wenig Personal im Betrieb

„Das Thema Personaldecke ist das A und O“, sagt Dr. Marlen Cosmar, Leiterin des Referats „Arbeitswelten, Mobilität und Gesundheit“ am Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG). Damit meint sie das Einplanen eines Puffers – gerade in Zeiten, in denen Ausfälle vermehrt vorkommen, wie zur Grippesaison. Sind die Personalressourcen dann etwas großzügiger geplant, wissen Mitarbeitende, dass ihre Krankmeldung keine Mehrarbeit für das Team bedeutet, meint die Arbeitspsychologin. Natürlich ist das gerade in Zeiten von Personalmangel nicht einfach. Doch wenn sich Aufgaben ein paar Tage oder eine Woche nach hinten schieben lassen, kann das für Entlastung sorgen.

In der kühlen Jahreszeit mit mehr Atemwegserkrankungen ist eine klare Kommunikation hilfreich, nach dem Motto: „Kommt nicht rein, wenn ihr ansteckend seid.“ Bei nichtansteckenden Erkrankungen, zum Beispiel des Muskel-Skelett-Systems oder psychischen Krankheiten, sollten Betriebe aus Sicht von Cosmar zudem vermitteln, welche Bedeutung frühzeitige Behandlungen haben. Hier können auch Employee-Assistance- Programme – also von Arbeitgeberin oder Arbeitgeber organisierte Beratungsangebote – unterstützen

Aufklären über Präsentismus

Um zu einer sicherheits- und gesundheitsbewussten Unternehmenskultur zu gelangen, muss Präsentismus thematisiert werden. Für Cosmar fängt es damit an, dass man sich über Arbeitsbelastungen austauscht und Unternehmen in der Gefährdungsbeurteilung auch die psychische Belastung in den Blick nehmen. Hilfreich sei es zudem, das Thema Sicherheit und Gesundheit auf die Tagesordnung bei wiederkehrenden Meetings zu setzen.

Außerdem sollte die Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) einbezogen werden, empfiehlt Martin Prüße von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM). Der Leiter des Sachgebiets „Veränderung der Arbeitskulturen“ bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) rät zudem, im Arbeitsschutzausschuss (ASA) für das Thema Präsentismus zu sensibilisieren. Prüßes Erfahrung zufolge herrscht Präsentismus selten im gesamten Betrieb, sondern meist in einzelnen Bereichen oder bei einzelnen Personen und Projekten. Sicherheitsbeauftragte können ihren Vorgesetzten und der Sifa zurückmelden, wenn in ihrem Bereich der Zeitdruck zu hoch ist. Denn auf Organisationsebene lässt sich daran etwas ändern – wenn etwa Zeitbudgets großzügiger kalkuliert, realistische Ziele vorgegeben und Pausen eingehalten werden.

Rückenschmerzen sind für viele Mitarbeitende kein ausreichender Grund, um sich zu Hause auszukurieren. © Foto: Adobe Stock/ Maria Vitovska

Klicktipp

Die Publikation Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten – Handlungsleitfaden für Führungskräfte hilft bei der Einordnung, wann psychische Erkrankungen vorliegen.

Sicherheitsbeauftragte als Bindeglied

Über die Führungs- und Unternehmenskultur lässt sich also ein Umfeld gestalten, in dem Krankheitstage als solche akzeptiert werden. Sicherheitsbeauftragte fungieren in diesem Umfeld nicht nur als Vorbild, sondern können andere Beschäftigte für einen gesunden Umgang mit Fehlzeiten sensibilisieren. Dabei hilft es ihnen, dass sie locker mit anderen ins Gespräch kommen. „Sicherheitsbeauftragte haben den Vorteil, dass sie keine Führungskräfte sind, sondern auf kollegialer Ebene agieren“, sagt Prüße. Eine besorgte Kollegin könne in ihrer Funktion als Sicherheitsbeauftragte eine Kollegin oder einen Kollegen darauf ansprechen, dass sie oder er kränklich wirkt, und fragen, ob eine Krankmeldung nicht sinnvoller wäre. Das stärke eine gesunde Unternehmenskultur und sei glaubhafter als die Ansprache durch eine Führungskraft.