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Bewegen statt in Zwangshaltungen verharren
Hin und wieder im Stehen zu arbeiten, ist kein Problem. Wichtig ist, auch im Friseurhandwerk, nicht zu lange und zu oft in einer ungünstigen Körperhaltung zu verbleiben. © Adobe Stock/STAGE Stock

Gesundheitsschutz : Bewegen statt in Zwangshaltungen verharren

Zwangshaltungen bei der Arbeit können gesundheitliche Probleme verursachen. Am Friseurhandwerk zeigt sich, wie Betriebe und Mitarbeitende gegensteuern können.

Die Hände bearbeiten mit flinken Bewegungen Haarsträhne für Haarsträhne, die Arme sind angehoben, Kopf und Oberkörper sind leicht nach vorne gebeugt: eine typische Körperhaltung, in der viele Friseurinnen und Friseure täglich arbeiten. Problematisch wird es, wenn die Beschäftigten zu lange oder zu oft bewegungseingeschränkte Positionen wie diese einnehmen – dann sprechen Fachleute von sogenannten Zwangshaltungen.

Wann eine Körperhaltung zum gesundheitlichen Risiko wird, hängt von der Art und der Dauer der Belastung ab. In Friseursalons gibt es verschiedene Faktoren, die Zwangshaltungen fördern. „Wenn etwa höhenverstellbare Stühle fehlen, muss die Arbeit im Stehen ausgeführt werden und die gebeugte Körperhaltung wird immer wieder eingenommen“, sagt Physiotherapeut Thomas Krehl. Er ist Referent für Gesundheitspädagogik am BGW studio78 der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) und schult dort Auszubildende des Friseurhandwerks zu betrieblicher Prävention. Gerade der Nachwuchs, findet Experte Krehl, sollte früh für die Risiken durch erzwungene Körperhaltungen sensibilisiert werden.

Zwangshaltungen und ihre Risiken

Akute Schmerzen während der Arbeit sind die ersten Warnzeichen. Eine stehende Zwangshaltung mit durchgedrückten Knien führt häufig zu einer Schmerzentwicklung in der Lendenwirbelsäule, so Krehl. Aber auch eine wiederholende Föhnbewegung über den 90-Grad-Winkel des Schultergelenks kann Schmerzen auslösen. „Ebenso das konstant nach vorne gestreckte Kinn beim Haareschneiden. Das sorgt für den sogenannten Handynacken“, so Krehl. Wird die Arbeitssituation nicht verbessert und fehlen im Alltag Ausgleichsübungen, können diese Zwangshaltungen ein Lendenwirbelsyndrom, auch Hexenschuss genannt, oder ein Schulter-Nacken-Syndrom zur Folge haben. Auch Knieprobleme sind möglich. Im schlimmsten Fall drohen lange Arbeitsausfälle.

Umso wichtiger ist es, die Prävention in den Betrieben zu stärken. Arbeitgebende sollten Weiterbildungsangebote ihrer Berufsgenossenschaft nutzen. Auch sollte das gesamte Team regelmäßig in gesunder Arbeitsgestaltung unterwiesen werden. Dass Friseurinnen und Friseure häufiger stehend arbeiten und wiederholt gewisse Bewegungen ausführen, lässt sich kaum verhindern. Dennoch können die Verantwortlichen im Betrieb bei der täglichen Arbeit zahlreiche Stellschrauben drehen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu schützen.

Gefährdungsbeurteilung zu Zwangshaltungen

Zur Ermittlung von Gefährdungen durch Zwangshaltungen empfiehlt die DGUV Information 208-033 ein dreistufiges Verfahren:

Stufe 1: Orientierende Gefährdungsbeurteilung

Mithilfe einer Checkliste

  • ermitteln, ob es im Betrieb ­rele­vante Belastungen durch Zwangshaltungen gibt,
  • prüfen, wie wahrscheinlich ­Gefährdungen sind, und
  • beurteilen, ob Maßnahmen ­erforderlich sind.
  • Wenn ja: Schutzmaßnahmen nach TOP-Prinzip ableiten.

Konnten keine Maßnahmen ­abgeleitet bzw. die Belastungen nicht minimiert werden, dann folgt:

 

Stufe 2: Vertiefende Gefährdungsbeurteilung

Mithilfe der Leitmerkmalmethode zu Zwangshaltungen (LMM-KH) ­werden die obigen Schritte vertieft. Basis ist ein Punktesystem, das u. a.

  • Zeitanteil und Ausführungs­bedingungen je Körperregion bewertet und
  • die Belastung in einen von vier Risiko­bereichen einordnet.
  • Der Risikobereich gibt vor, ob Maßnahmen abgeleitet werden.

Konnten keine neuen Maßnahmen abgeleitet bzw. die Belastungen nicht minimiert werden, dann folgt:

 

Stufe 3: Fachliche Beratung

Unterstützung durch den zuständigen Unfallversicherungsträger.

 

Weitere Ausfrührungen dazu in Anhang 1, 2 und 3 der DGUV Information 208-033.

Gefährdungen ermitteln und Präventionsmaßnahmen etablieren

Basis für den Arbeitsschutz ist die ­Gefährdungsbeurteilung. Um Gefährdungen durch Zwangshaltungen zu ­ermitteln und passende Schutzmaßnahmen zu etablieren, ist ein mehrstufiges Verfahren möglich – mithilfe der sogenannten Leitmerkmalmethode (LMM-KH). Bei Fragen zum Prozess kann die zuständige Berufsgenossenschaft unterstützen. Spätestens ab Stufe 3 der mehrstufigen Gefährdungsbeurteilung ist fachliche Beratung ohnehin angeraten.

Bei erhöhter oder hoher Belastung durch Zwangshaltungen im Friseurhandwerk müssen Betriebe Präventionsmaßnahmen mit dem Ziel der Belastungsreduktion durchführen. Diese sollten nach dem TOP-Prinzip erfolgen. Hier gilt: Technische Maßnahmen haben Priorität vor organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen. Das fängt bereits bei den passenden Arbeitsmitteln an, zu denen nicht nur ergonomische Stühle, sondern auch ergonomische Scheren und Föhne gehören. Auch das richtige Licht erleichtert Beschäftigten die Arbeit im Salon.

Psychische und physische Belastung hängen oft eng zusammen

Experte Thomas Krehl betont, dass zudem eine gute Arbeitsorganisation unabdingbar ist, um Risiken durch erzwungene Körperhaltungen zu vermeiden. Sprich: Pausen machen, Tätigkeiten wechseln, Ausgleichsübungen einbauen. Das werde aber häufig vernachlässigt: „Der Job ist oft Fließbandarbeit, denn der Preisdruck innerhalb der Branche ist hoch.“ Dieser Druck werde oft direkt an das Team weiter­gegeben. Pausen fallen weg, am ergonomischen Arbeitsmaterial wird gespart, eine durchdachte Arbeitsorganisation oder Präventionsmaßnahmen wie Schulungen kommen zu kurz.

So fehlen nicht nur wichtige Maßnahmen gegen die körperlichen Folgen von Zwangshaltungen – auch die psychische Belastung der Beschäftigten erhöht sich. Ein Teufelskreis: „Wer täglich unter Stress und mit hochgezogenen Schultern zur Arbeit geht, neigt auch zu körperlichen Beschwerden, etwa durch Zwangshaltungen“, sagt Krehl.

Klicktipp

Mehr Informationen zu psychischer Belastung am Abeitsplatz in der DGUV Information.

Beschäftigte sollten lernen, ihre Körpersignale zu deuten

Aber auch die Beschäftigten sind gefragt. „Wichtig ist die eigene Körperwahrnehmung und ein Gefühl für ein gesundes Selbst“, so Krehl. „Idealerweise merken die Friseurinnen und Friseure selbst, wenn sie lange in einer Position verharren, und ändern ihre Körperhaltung.“ Kurze Dehnübungen, ein paarmal tief ein- und ausatmen, all das könne schon helfen. Und die Pausen, betont der Experte, sollten nicht vor dem Handy, sondern lieber in ­Bewegung verbracht werden. Entscheidend sei aber: „Nur wenn alle Maßnahmen zusammengeführt werden, wird das bestmögliche Ergebnis erzielt.“

Hier noch ein Überblick über typische Zwangshaltungen bei der Arbeit – branchenübergreifend:

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