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Mit Wasserstoff arbeiten: Explosionsschutz streng nach Plan
Marc Trompeter (links) und Sascha Niebialek (rechts) haken ihre ­digitale Checkliste ab. Den Ver­dichter im Hintergrund haben sie bereits geprüft. © Ralph Sondermann

Arbeitssicherheit : Mit Wasserstoff arbeiten: Explosionsschutz streng nach Plan

Westnetz erprobt das sogenannte Power-to-Gas-Verfahren. Damit Beschäftigte sicher mit dem extrem entzündlichen Wasserstoff arbeiten, erstellte die Firma ein individuelles Schutzkonzept.

Wiesen und Felder, so weit das Auge reicht, in der ­Ferne grasen ein paar Schafe – und mittendrin stehen die Bürogebäude der Westnetz GmbH. Der Strom- und Gasverteilnetz­betreiber aus Dortmund hat hier im münsterländischen Metelen eine Außenstelle. Ein wahrlich grüner Arbeitsplatz für die rund zwei Dutzend Beschäftigten – passend zum grünen Strom, der auf dem Dach von zwei Photovoltaik-­Anlagen produziert wird.

Die sind aber nur ein Teil des Kreislaufs, der die Dienststelle mit ­Strom versorgt. Denn da steht auch noch ­dieser weiße Metallcon­tainer neben dem Gebäude. An dessen Tür ange­kommen wird klar, warum Netzinge­nieur Sascha ­Niebialek und der Sicherheitsbeauf­tragte und Monteur Marc Trompeter Sicherheits­schuhe, flammenhemmende Schutzkleidung und Helm tragen: „Feuer- und Explosions­gefahr“, warnt ein Aufkleber, „Schutzkleidung tragen“ fordert ein anderer. Auch die großen, roten Druckgasflaschen, die ein paar Meter daneben hinter einem Metallgitter stehen, zeigen, dass hier mit brennbaren Gasen gearbeitet wird. In diesem Fall: Wasserstoff.

Marc Trompeter, Sicherheitsbeauftragter bei Westnetz © Ralph Sondermann

Moderne, smarte Technik für eine sichere Wasserstoffanlage

Der wird im Inneren des Co­ntainers mit hochmoderner Technik erzeugt. Dazu gehören eine ­digitale Kontrollanlage, eine Brennstoffzelle und ein Elektrolyseur. Das ­Zusammenspiel aller Komponenten setzt ein Verfahren namens „Power-to-Gas“ („Strom zu Gas“) in Gang. „Im Elektrolyseur wird Wasser mithilfe des grünen Stroms in seine Einzelteile zerlegt: Sauerstoff und Wasserstoff. Dann wird der Wasserstoff verdichtet und in den Flaschen gespeichert“, sagt Sascha Niebialek.

Als zuständiger Netzingenieur betreut er das vor drei Jahren gestar­tete Projekt von Anfang an und ist heute aus dem Ruhrgebiet angereist. „An sonnenarmen Tagen nutzt das ­System zunächst die Reserven aus den Batteriespeichern der Photovoltaikanlage. Sind diese leer, wird auf den Wasserstoffspeicher zurück­gegriffen. Der Wasserstoff wird rückverstromt und der Strom in die Bürog­ebäude eingespeist.“ Das Pilotprojekt liefert Erkenntnisse, wie grüner Strom mithilfe von Was­ser­stoff ganzjährig genutzt und langfristig gespeichert werden kann. Eine zukunftsträchtige Technologie, die aber auch einige Neuerungen für den Arbeitsschutz bedeutet.

Power-to-Gas – so funktioniert die Pilotanlage in Metelen © raufeld

An Verhaltensregeln regelmäßig erinnern

Niebialek und Trompeter haben zwar längst Routine mit der Anlage, jeder Handgriff sitzt. Doch sobald der Container geöffnet wird, arbeiten beide höchst konzentriert. Die Betriebsanweisung nach Gefahrstoffverordnung für Wasserstoff hängt gut sichtbar an der Innenseite der Tür. Sie weist auf die Brand- und Explosions­gefahr des extrem entzündlichen Gases hin und listet alle Verhaltensregeln auf.

Eine explosions­fähige Atmo­sphäre vermeiden – das steht im ­Fokus des Arbeitsschutzes. Sprich ein explo­sionsfähiges Gemisch aus Luft beziehungsweise Sauerstoff und Wasserstoff. Die technischen Schutzmaßnahmen werden dabei durch organisato­rische Schutzmaßnahmen ergänzt, um sicheres Arbeiten für die Beschäftigten zu gewährleisten.

Checkliste

Schutzmaßnahmen bei Arbeiten mit Wasserstoff nach dem TOP-Prinzip

T – technische Schutzmaßnahmen:

  • Bildung explosionsfähiger Atmosphäre durch auf Dauer technisch dichte Anlagen vermeiden
  • in Aufstellungsräumen: technische oder natürliche Belüftung gewährleisten
  • Zündquellen vermeiden, zum Beispiel durch explo­sionsgeschützte elektri­sche Betriebsmittel oder eine Erdungskette für Be­schäftigte
  • Gaswarngeräte müssen für Wasserstoff geeignet sein

O – organisatorische Schutzmaßnahmen:

  • Gaskonzentration mit Gas­warngeräten überwachen
  • Brandbekämpfungsmittel bereitstellen
  • Mit funkenarmen Werkzeugen arbeiten

P – personenbezogene Schutzmaßnahmen

  • Persönliche Schutzkleidung (PSA) nach DIN EN ISO 11612 tragen
  • ableitfähige Schutzkleidung tragen
  • Unterweisungen und Schulungen durchführen

Tragbare Gaswarngeräte ergänzen technische Schutzmaßnahmen

Dafür nutzten Marc Trompeter und Sascha Niebialek ein orangefarbenes Gaswarngerät, das sie an allen relevanten Leitungen im Container und an den Druckgasflaschen entlangführen. „Das Gerät saugt die ­Umgebungsluft an und prüft die Wasser­stoffkonzentration. Die ­untere Explosionsgrenze von Wasserstoff liegt bei vier Volumen­prozent. Das Gerät schlägt aber bereits bei geringsten Konzentrationen an“, sagt Niebialek.

Der Alarm bleibt aus, die Anlage ist also dicht. Eine zusätzliche Hilfe für die beiden Fachleute: Eine Checkliste gibt alle erforder­lichen Arbeits­schritte vor. Abgehakt werden diese ­digital auf ­einem Touchpad. Neben dem Explo­sionsschutz müssen die Fachleute aber auch die Gefähr­dungen durch Druck in den Rohrleitungen und ­Anlagenteilen beachten. Aus ­diesem Grund sieht die Checkliste unter ­anderem auch eine Gasdruckprüfung vor.

Sascha Niebialek prüft die Leitungen der Druckgasflaschen mit dem Gaswarngerät. © Ralph Sondermann

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wasserstoff und Erdgas

„Viele der Prozesse und Schutzmaßnahmen sind denen an Erdgas­anlagen sehr ähnlich“, sagt Andreas Schulte. Er ist Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Westnetz in Dortmund und hat den Arbeitsschutz des ­Projektes koordiniert – zusammen mit der Abteilung Health, Safety und Environment. „Aber es bleiben zwei unterschiedliche Gefahr­stoffe mit ­unterschiedlichen Zün­dgrenzen.“ Die unteren Explosionsgrenzen seien mit vier Volumenprozent zwar identisch, aber Wasserstoff könne mit ­einer deutlich geringeren Zünd­energie als Erdgas entzündet ­werden. Schon der mechanische Funken eines Werk­zeuges könnte eine Verpuffungs­reaktion auslösen.

Das könnte einer der Gründe sein, warum das innovative Projekt im Vorfeld bei manchen Beschäftigten für ­Unsicherheit ­gesorgt hat. „Alle Mitarbeitenden haben zwar Erfahrung im Umgang mit Gefahr­stoffen wie Erdgas. Und die Betriebsanweisung ist zu etwa 95 Prozent ­deckungsgleich mit der von Wasser­stoff. Doch es bleibt der Respekt vor dem Neuen, dem Unbekannten. Und dem müssen wir Rechnung tragen und den Leuten mit genauen Vorgaben ­signalisieren: Ihr könnt auch an Wasserstoff­anlagen und Wasserstoff­leitungen sicher arbeiten“, sagt An­dreas Schulte. Eine umfassende Unterweisung habe ­letzte Unsicherheiten bei den Beschäftigten ausräumen können.

Schritt für Schritt auf neuen Gefahrstoff vorbereiten

  • Fachwissen bündeln: Team für Erstellung des Schutzkonzeptes zusammenstellen (zum Beispiel Fachkraft für Arbeitssicherheit, ­operative Führungskräfte)
  • Externe Expertise nutzen: Etwa von der Berufs­genossenschaft oder ­Betrieben, die den Gefahrstoff bereits nutzen
  • Hersteller auswählen: Bei Einsatz neuer Technik: erfahrenen Hersteller ­recherchieren und prüfen, ob dieser bei Wartung und Unterweisung unterstützt
  • Gefährdungsbeurteilung durchführen: Gefährdungen ermitteln Schutzmaßnahmen ­festlegen, zum Beispiel: technisch dichte Anlagen, Zündquellen vermeiden, Schutzkleidung tragen, Fristen zur Überprüfung der Maßnahmen festlegen
  • Beschäftigte qualifizieren: Fachlich geeignetes Per­sonal muss zur Verfügung stehen; frühzeitig Schu­lungen/Unterweisungen ­vor­bereiten

Gefährdungsbeurteilung und Explosionsschutzdokument erstellen

„Die Arbeit mit einem neuen Gefahrstoff ist immer mit einigen neuen Fragestellungen für den Arbeits­schutz verbunden“, sagt auch Dr. Albert Seemann. Der Ingenieur ist Leiter des Sachgebiets Energie und ­Wasser der Deutschen Gesetz­lichen Unfallversicherung (DGUV) und für Betriebe eine Hauptansprechperson zum Thema Wasserstoff. „Vor Beginn der Tätigkeiten müssen die Gefährdungsbeurteilung und das Explo­sionsschutz­dokument erstellt ­werden“

Explosionsschutz und Gefährdungsbeurteilung

  • Bei der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung müssen Gefährdungen durch explosionsfähige ­Stoffe oder Gemische ­gesondert erfasst werden.
  • Dies erfolgt mit einem Explosionsschutz­dokument. Es beinhaltet alle tech­nischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen.
  • Alle spezifischen Besonderheiten des Stoffes, etwa die Explosionsgrenzen, ­müssen aufgelistet und berücksichtigt werden.
  • Außerdem wird der Bereich in und um die Anlagen in Zonen eingeteilt; je nach Gefährdungspotenzial ­variieren hier die Schutzmaßnahmen.

Erläuterung: Ein explosionsfähiges ­Gemisch entsteht z. B. aus brennbarem Gas (Wasserstoff) und Luft; durch eine wirksame Zündquelle können Brände und Explosionen entstehen, Druck und Temperatur steigen sprunghaft an

Arbeitsschutz als Unternehmensziel definiert und von oben vorgelebt

Für die tägliche Arbeit findet der ­Sicherheitsbeauftragte Marc Trompeter ganz wichtig, dass Arbeitsschutz von oben vorgelebt wird. „Käme ein Mitglied des Vorstandes hier im Hawai­ihemd und kurzer Hose an die Anlage, wie ­sollte ich dann den Monteuren erklären, dass sie ihre Schutzkleidung tragen müssen?“ Sicher­heitsfachkraft Andreas Schulte ergänzt: „Bei Westnetz gab es in den vergangenen Jahren schwere Unfälle. Darauf hat die Geschäftsführung mit zahlreichen Maßnahmen reagiert. So wurden Sicherheit und Gesundheit zu den obersten Unternehmenszielen erklärt. Und das Programm ‚Gemeinsam gesund & sicher‘ ins Leben gerufen, das unter anderem lebensrettende Regeln und gezielte Schulungen für alle Beschäftigten umfasst. Arbeitsschutz wird heute bei uns von allen gelebt und ist fester Bestandteil der Unternehmenskultur.“

Für den Erfolg der Maßnahmen spricht, dass dem Sicherheitsbeauftragten Trompeter partout kein aktuelles Beispiel für eine Risikosituation einfallen will. „Aber die Kolleginnen und Kollegen ­wissen, dass sie mich jederzeit ansprechen können.“ Trompeter hatte sich 2021 proaktiv auf das Ehrenamt beworben. „Ich finde es wichtig, dass alle so gesund nach Hause gehen, wie sie gekommen sind.“

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Wasserstoffanlage und Batteriespeicher im Keller prüfen

Dafür tun die beiden Fachleute auch heute ihr Bestes. Neben der Wasserstoffanlage gehört auch der Keller des Bürogebäudes zur Prüfroutine. Hier sind die Batteriespeicher der Photovoltaikanlage installiert. Statt um den Explo­sionsschutz geht es hier vor allem um Brand­schutz. So besteht zum Beispiel das ­Risiko ­eines Kurzschlusses. Deswegen wurden die Fenster zugemauert – ein Feuer könnte so nicht auf die gedämmte Hauswand über­greifen. ­Zudem lagern hier die Gaswarngeräte, die vor ­jedem Einsatz mit einer ­Gas­probe getestet werden. „Ganz wichtig: Die Technik muss mit Wasserstoff kompatibel sein. Ein nur für Erdgas genormtes Gerät würde nicht rea­gieren“, sagt Sascha Niebialek.

Zurück an der Wasserstoff­anlage kommen die Geräte erneut zum Einsatz: Auf der Rückseite der Anlage gibt es eine weitere Tür, dahinter arbeitet der knallblaue Verdichter. Hier wird der Wasserstoff verdichtet und ­anschließend in die Druckgas­flaschen abgefüllt. ­Niebialek weist vor Ort auf eine ­weitere Schutzmaßnahme hin: „Wenn wir Wartungen vornehmen, müssen zuvor alle Leitungen mit Stickstoff gespült ­werden. Er verdrängt den Wasserstoff, sodass ein explosionsfähiges Gemisch gar nicht erst entstehen kann.“ Nach etwa 45 Minuten ist der Kon­trollgang beendet, der nächste ist in einer Woche fällig. „Den Großteil der Zeit läuft die Anlage selbstständig. Es ist ja ­alles smart vernetzt, über Störungen würde auch die Zentrale in Dortmund sofort informiert“, sagt Netz­ingenieur Niebialek.

„0.0“, also keine Wasserstoffkonzentration nachweisbar. © Ralph Sondermann

Wasserstoff als grüner Energieträger der Zukunft?

Die Vorteile von grünem Wasserstoff liegen auf der Hand. Die Dienst­gebäude in ­Metelen sind durch den Wasserstoff­speicher, der ­Reserven für zwei bis drei ­Wochen hat, zu 92 Prozent strom­autark. Doch Fachleute ­sehen in der Technik noch größeres Potenzial: Wasser­stoff kann auch ins öffentliche Gasnetz eingespeist werden. Ein Modell­projekt ist bei Westnetz bereits angelaufen. ­Zudem ­fallen, sofern er mit Ökostrom erzeugt wird, keine CO2-Emissionen an. Und wie DGUV-Experte Dr. Seemann betont: Auch aus Sicht des Arbeits­schutzes spricht grundsätzlich nichts gegen den Einsatz von Wasserstoff. Solange dabei der Schutz der ­Beschäftigten immer im Fokus steht.