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Wenn die Psyche Hilfe braucht
Depressive haben nur einen schlechten Tag? Vorurteile wie diese können Erkrankte zusätzlich belasten. © Getty Images/ Carmelstudio

Gesundheitsschutz : Wenn die Psyche Hilfe braucht

Um Beschäftigte mit Depressionen zu unterstützen, können Betriebe gezielte Angebote etablieren. Ebenso wichtig ist Wissensvermittlung zur Erkrankung, um Vorurteile abzubauen.

Mal ist es der Kollege, der ständig fehlt. Erst unregelmäßig, dann immer häufiger und länger. Mal fällt das Verhalten der Kollegin auf, die sich mehr und mehr zurückzieht und kaum noch lacht. Häufig beginnt im Betrieb dann das Mutmaßen über mögliche Ursachen. Stress? Liebeskummer? Oder etwa eine Depression? Eine Vorstellung, bei der sich oft großes Unbehagen und auch Unwissen unter Beschäftigten offenbart.

„Grundsätzlich wurde in den letzten Jahren viel dafür getan, um aufzuklären und die Erkrankung zu enttabuisieren“, sagt Prof. Dirk Windemuth, Psychologe und Leiter des Instituts für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG). „Manche Vorurteile halten sich aber hartnäckig, die Krankheit wird etwa als schlechte Phase abgetan.“ Teilweise wird das Thema Depression in Betrieben auch einfach ausgeklammert.

Depressionen häufig unterschätzt – Aufklärung hilft

Dabei wären Wissensvermittlung und gezielte Unterstützung mehr als angebracht, denn: „Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen“, heißt es auf der Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit.

Zudem steigt laut DAK-Psychreport 2023 die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen der Beschäftigten kontinuierlich. Depressionen seien der häufigste Grund. Windemuth möchte hier etwas relativieren: „Entscheidend und richtig ist, dass wir hohe Zahlen bei Depressionen haben. Dass diese gesamtgesellschaftlich in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen sind oder steigen, ist wissenschaftlich nicht belegt.“

Klicktipp

Ein Leitfaden der DGUV hilft im Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten.

Zwischen leichter bis schwerer Depression unterscheiden

Doch was genau charakterisiert die Erkrankung? „Es wird zwischen der leichten, der mittelgradigen und der schweren Depression unterschieden“, sagt Windemuth. „Menschen mit einer schweren Depression findet man am Arbeitsplatz nicht. Sie sind durch die Erkrankung so beeinträchtigt, dass sie oft das Bett gar nicht verlassen können.“ Auch bei der mittelgradigen Form würden sich die Fehltage im Verlauf oft häufen.

Ein vergleichsweise geregelter Arbeitsalltag könnte meist nur mit einer leichten Depression bewältigt werden. Aber auch dieses Stadium kann Betroffene stark beeinträchtigen: „Sie haben eben nicht nur einen schlechten Tag“, sagt Windemuth. Depressive hätten tiefergehende Probleme. „Oft spricht man von einer ‚Losigkeit‘ der Betroffenen. Sie fühlen sich kraftlos, interessenlos, freudlos oder hoffnungslos. Aufheiterungsversuche laufen immer ins Leere.“ Ohne Hilfe kann sich der Zustand schnell weiter verschlechtern.

Warnzeichen bei psychischen Beeinträchtigungen

  • Auffälliger Motivationsverlust oder Teilnahmslosigkeit
  • Konzentrationsprobleme
  • Müdigkeit und/oder Kraftlosigkeit
  • Arbeitsaufgaben dauern länger als gewöhnlich oder werden gar nicht erledigt
  • Rückzug aus sozialer Interaktion im Team
  • Gereiztheit, Dünnhäutigkeit
  • Andauernde Traurigkeit oder starke Stimmungsschwankungen

Wichtig: Die genannten Auffälligkeiten können erste Warnzeichen einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung sein. Eine Diagnose kann nur eine psychologische Fachkraft stellen.

Arbeit kann Depressionen begünstigen

Laut Windemuth wird in der Berichterstattung über Depressionen häufig der Bogen zur Arbeit geschlagen. Aber: Depressionen sind keine anerkannte Berufskrankheit. Ein direkter oder ausschließlicher Bezug zur Arbeit kann in der Regel nicht belegt werden. „Die Arbeit kann die Krankheit aber begünstigen“, so Windemuth. „Ein Faktor ist, wenn Beschäftigte das Gefühl haben, sich völlig zu verausgaben, aber dafür zu wenig zurückzubekommen.“ Dazu zähle nicht nur Geld, sondern beispielsweise auch Anerkennung.

Problematisch können zudem sogenannte Sandwichaufgaben sein: „Diese zeichnen sich oft durch viel Verantwortung und Zeitdruck, aber wenig Handlungsspielraum aus. Auch das kann langfristig die Entstehung einer Depression begünstigen.“ Hier sind Verantwortliche in der Pflicht, diese Risiken zu vermeiden. Zudem sollten sie regelmäßig nachfragen, ob Beschäftigte sich etwa überlastet fühlen – und im Zweifel Hilfe anbieten.

Wer bei Kolleginnen oder Kollegen eine Depression vermutet, sollte sensibel nachfragen und nicht mit Ratschlägen vorpreschen © Getty Images/ Laflor

Frühe Unterstützung hilft, Fehlzeiten zu vermeiden

Unabhängig von präventiven Maßnahmen wird es immer Beschäftigte geben, die an einer Depression erkranken. Diese bestmöglich zu unterstützen, sollte Arbeitgebenden immer ein Anliegen sein. Etwa indem sie interne und externe Beratungs- und Hilfsangebote etablieren. Fachlich geschulte Ansprechpersonen können bei Bedarf weitere Maßnahmen anstoßen, etwa eine Psychotherapie. Durch frühe Unterstützung kann eine ­Verschlechterung des Zustandes oft vermieden werden. „Noch besser ist es, wenn gelernte betriebliche ­Sozial­arbeitende vor Ort sind“, so Windemuth.

Unterstützend wirken sich auch eine positive Grundhaltung und Interesse innerhalb des Teams aus. „Verhält sich eine Person auffällig, ist Nachfragen immer gut, ob durch Führungskräfte oder Kolleginnen und Kollegen“, sagt Windemuth. Ganz wichtig sei aber das „Wie“. Hier verweist Windemuth auf den Liedermacher und Autor Konstantin Wecker, der ebenfalls eine Krankheitsgeschichte hat.

„Er beschreibt in einem seiner Bücher zwei Arten des Helfen-Wollens. Die vom hohen Ross herab, nach dem Motto ‚Ich bin gesund und helfe dir, weil ich weiß, was gut für dich ist‘. Besser ist das partnerschaftliche Handreichen und Nachfragen mit echtem Interesse.“ Ein guter Einstieg sei die schlichte Frage: „Wie geht es dir?“ Oder: „Ich habe das Gefühl, es geht dir nicht gut. Hast du eine Idee, was oder wer dir helfen könnte?“

Sicherheitsbeauftragte können sensibel nachfragen

Daran können sich auch Sicherheitsbeauftragte halten. Wenn diese das Team gut kennen, fallen ihnen Warnzeichen bestenfalls früh auf. „Aber sie sind keine therapeutischen Fachkräfte und sollten sich daher mit Mutmaßungen zurückhalten. Schon der Hinweis auf betriebliche Hilfsangebote kann zu viel sein“, so Windemuth. Sätze, die mit „Du solltest mal …“ anfangen, sind ebenfalls zu vermeiden.

Legitim sei es auch, sich direkt an die Führungskraft zu wenden und die Beobachtungen zu schildern – als Sorge, nicht als Tratsch. Zusätzlich können Arbeitgebende gezielt Wissen zu psychischen Erkrankungen vermitteln, etwa in Workshops. Windemuth empfiehlt überdies, Beschäftigte zu „Mental Health First Aid“-Ersthelfenden auszubilden. Diese Beschäftigten können bei Warnzeichen unterstützend aktiv werden.

Mögliche Maßnahmen und Hilfsangebote

  • „Mental Health First Aid“ (MHFA)-Ersthelfende ausbilden: Die Initiative bildet Beschäftigte zu Ersthelfenden bei ­psychischen Problemen aus; Teilnehmende lernen, Symptome zu erkennen und andere Beschäftigte kompetent anzusprechen.
  • Führungskräfte/Verantwortliche schulen: Entweder zu MHFA-Ersthelfenden oder mithilfe anderer Workshops, die Grundwissen vermitteln und Vorurteile abbauen.
  • Employee Assistance Program (EAP) etablieren: Externe, vertrauliche Mitarbeitendenberatung; wichtig: keine Therapie, sondern erste, meist telefonische Anlaufstelle, etwa bei beginnenden Symptomen einer Depression.
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) stärken: Instrument, um Beschäftigte nach mindestens sechswöchiger Erkrankung wieder in den Berufsalltag zu integrieren und unterstützende Maß­nahmen einzuleiten, zum Beispiel eine Umgestaltung der Arbeitsaufgaben.

Reden ist immer besser als Schweigen

Doch wie können Betroffene selbst mit ihrer Erkrankung im Betrieb umgehen? Oft leiden sie nicht nur unter den Symptomen der Depression, sondern auch unter der Angst vor möglichen negativen Reaktionen. „Mit anderen zu reden ist grundsätzlich immer besser als zu schweigen, auch am Arbeitsplatz“, sagt Windemuth. „Dafür braucht es aber eine Vertrauenskultur.“ Betroffene müssen das Gefühl haben, auf offene Ohren und Akzeptanz zu stoßen.

Bestenfalls wurden psychische Erkrankungen im Betrieb schon mal thematisiert. Gedrängt werden sollte aber niemand, über seine Erkrankung zu sprechen. Windemuth betont außerdem: „Von depressiven Beschäftigten kann nicht verlangt werden, selbst vorzupreschen, Workshops anzuregen oder andere über das Thema aufzuklären. Dafür sind Arbeitgebende oder Führungskräfte verantwortlich.“