Arbeitssicherheit : Charité Berlin: Beschäftigte vor Gefahrstoffen schützen
Zuerst kommt die FFP3-Maske. Dann folgen Schutzbrille, OP-Haube und schließlich das Face-Shield. Über die Hände streift sich Thomas Klotzkowski zum Schluss noch ein frisches Paar Einmalhandschuhe. Erst wenn all das erledigt ist, darf der Krankenpfleger und Sicherheitsbeauftragte gemeinsam mit dem behandelnden Arzt die Schleuse passieren. Sie führt in das Zimmer von Helmut Wenzel (Name von der Redaktion geändert). Es ist bereits der dritte Patient mit COVID-19, dem Klotzkowski an diesem Tag eine Visite abstattet.
An das Prozedere hat sich der Sicherheitsbeauftragte nach mehreren Jahren auf der Sonderisolierstation der Berliner Charité inzwischen gewöhnt. Tagtäglich pflegt er am Campus Virchow-Klinikum im Herzen der Hauptstadt hochansteckende Patientinnen und Patienten. „Normalerweise haben wir es hier mit ganz verschiedenen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Malaria zu tun. Doch seit Beginn der Pandemie behandeln wir ausschließlich Covid-Patienten wie Herrn Wenzel“, erzählt er.
Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt Risikogruppe der Biostoffe
Für Klotzkowski und die gesamte Belegschaft der Station 59 bedeutet das: Arbeiten unter höchsten Sicherheits- und Hygieneanforderungen. Arbeitsrechtliche Grundlage ist die Biostoffverordnung. Sie definiert für Arbeitgebende, welche Schutzmaßnahmen zu treffen sind, um Beschäftigte im Umgang mit schädigenden Biostoffen zu schützen. Beschäftigte im Gesundheitswesen haben in der Regel mit Erkrankten zu tun, deren Blut oder Ausscheidungen Viren, Bakterien oder Pilze enthalten können. Auf Station 59 sind dies beispielsweise COVID-19- oder Tuberkulose-Erreger.
Die Führungsebene eines Unternehmens, etwa die Abteilungsleitung oder das Hygienemanagement in einem Krankenhaus, muss zunächst den betreffenden Biostoff mittels Gefährdungsbeurteilung einer von vier Risikogruppen zuordnen. „Das Coronavirus etwa gehört zur Risikogruppe drei“, erklärt der Pfleger. Entsprechend weitreichend sind die Schutzmaßnahmen.
Gut zu wissen
Biostoffe: Welche Risikogruppen gibt es?
- Risikogruppe eins: Es ist unwahrscheinlich, dass diese Biostoffe beim Menschen eine Krankheit verursachen.
Beispiel: Essigsäurebakterien - Risikogruppe zwei: Biostoffe, die eine Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine Gefahr für Beschäftigte darstellen können. Eine Verbreitung des Stoffes in der Bevölkerung ist unwahrscheinlich; eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist normalerweise möglich.
Beispiele: Legionellen, Polioviren - Risikogruppe drei: Biostoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen können. Die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung kann bestehen, doch ist normalerweise eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung möglich.
Beispiele: Corona-Virus, HIV-Erreger - Risikogruppe vier: Biostoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen. Die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung ist unter Umständen groß; normalerweise ist eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung nicht möglich.
Beispiele: Ebola-Viren, Lassa-Viren
Lüftungsanlage verhindert Ausbreitung von Erregern
Um die Ansteckungsgefahr bestmöglich zu eliminieren: „Jedes Patientenzimmer verfügt zum Beispiel über eine Schleuse. Das ist ein Vorzimmer, in dem wir die Schutzkleidung anziehen und sie direkt nach Gebrauch in sogenannten C-Mülltonnen beseitigen“, erklärt Klotzkowski weiter. Diese Behälter sind extra für infektiöse Abfälle vorgesehen. Sie werden als Gefahrguttransport von einem externen Dienstleister entsorgt.
Die Station 59 verfügt noch über einen weiteren wichtigen baulichen Vorteil. Klotzkowski erklärt: „Alle Zimmer in dem ebenerdigen Flachbau können von außen betreten werden. Patientinnen und Patienten treffen so nicht auf andere Personen, die sich auf der Station bewegen. Dadurch sinkt das Infektionsrisiko für das Personal erheblich.“ Zudem sorgt eine Lüftungsanlage mit speziellen Filtern und Unterdrucksystem dafür, dass keine kontaminierte Luft von den Zimmern auf den Stationsflur gelangt.
Beim direkten Umgang mit den Infizierten tragen Klotzkowski und sein Team Persönliche Schutzausrüstung. Sie beinhaltet virendichte Kittel, Handschuhe und FFP3-Masken. Im Unterschied zu medizinischen Gesichtsmasken liegen die sogenannten partikelfilternden Halbmasken dichter an und filtern gefährliche Partikel und Aerosole besonders gut heraus. Das Schutzkonzept zeigt Wirkung: Seit Beginn der Pandemie hat sich niemand, der auf der Station arbeitet, mit COVID-19 infiziert.
Bei nicht gezielten Tätigkeiten tragen Impfungen zum Infektionsschutz bei
Klotzkowski und sein Team üben überwiegend nicht gezielte Tätigkeiten aus. Sie wissen zwar oft genau, mit welchen Erregern sie es zu tun haben, aber nicht, wie viel davon ein Patient tatsächlich ausscheidet. In anderen Bereichen der Charité verfügen die Beschäftigten häufig über noch weniger Informationen.
„Oft ist dem Personal in Krankenhäusern nicht bekannt, um welchen Erreger und welchen Übertragungsweg es sich handelt. Bei solchen nicht gezielten Tätigkeiten sind der Einsatz von Desinfektionsmitteln, das Tragen von Handschuhen und von Mund-Nasen-Schutz die wichtigsten Schutzmaßnahmen“, erklärt Prof. Dr. Albert Nienhaus, Leiter der Abteilung Arbeitsmedizin, Gesundheitswissenschaften und Gefahrstoffe bei der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtpflege (BGW).
Eine weitere wichtige Schutzmaßnahme bei nicht gezielten Tätigkeiten sind Impfungen. Am Beispiel von Hepatitis B wird deutlich, wie wirkungsvoll sie sind: „Die beruflich bedingten Übertragungen sind seit dem systematischen Impfen der Beschäftigten um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Ähnlich verhält es sich bei SARS-CoV-2 Infektionen. Hier ist der Impfschutz nur leider kürzer als bei Hepatitis B“, sagt der BGW-Experte.
Risikofaktor Nadelstichverletzungen
Zurück auf der Station 59. Hier macht Dr. André Fischer, zentraler Beauftragter für Biologische Sicherheit an der Charité, auf ein weiteres Sicherheitsrisiko aufmerksam: kontaminierte medizinische Instrumente. „Wenn eine Ärztin oder ein Pfleger einer infizierten Patientin eine Spritze verabreicht, besteht danach das Risiko, sich an der Nadel zu verletzen und im schlimmsten Fall mit einer ansteckenden Krankheit zu infizieren.“
Wie viele andere Kliniken setzt die Charité daher inzwischen auf Instrumente, bei denen verschiedene Ausstattungsmerkmale solchen Verletzungen vorbeugen. „Bei den sogenannten verletzungsärmeren Kanülen sorgt der Sicherheitsmechanismus für ein Umschließen der Nadel direkt nach der Punktion“, erklärt Fischer. Er fügt hinzu: „Damit sinkt das Nadelstichrisiko, zum Beispiel durch ein verletzungsträchtiges Recapping.“ Gemeint ist die inzwischen verbotene Praxis, nach dem Gebrauch einer Spritze die Schutzkappe händisch wieder auf die Nadel zu setzen.
Charité Berlin schult Beschäftigte
Um Beschäftigte stärker für dieses Thema zu sensibilisieren, klärt die Stabsstelle Arbeitssicherheit gemeinsam mit dem Arbeitsmedizinischen Zentrum regelmäßig über die Gefahren auf. „Wir sind ständig bestrebt, unseren Mitarbeitenden nahezubringen, wie sie mit Kanülen und anderen scharfen und spitzen Gegenständen sicher umgehen. Hierbei sind vor allem die Sicherheitsbeauftragten wichtige Multiplikatoren“, bestätigt der Sicherheitsingenieur Oliver Simon.
Für die Aufklärung ihrer Beschäftigten führt die Charité regelmäßig Informationsveranstaltungen durch. Zudem hat sie Informationsmaterialien im Intranet bereitgestellt. „Dort gibt es zum Beispiel verschiedene Vorträge, die sich Sicherheitsbeauftragte herunterladen und dann in ihrem jeweiligen Bereich verbreiten können“, sagt André Fischer.
Tipps für Sicherheitsbeauftragte
Sicherer Umgang mit Biostoffen
- Kolleginnen und Kollegen auf typische Gefahrensituationen und sichere Verhaltensweisen aufmerksam machen, zum Beispiel im Umgang mit Nadeln
- Kontrollieren, ob Sicherheitsmaßnahmen praxistauglich sind. Dazu gehört es, Isolationszimmer als solche zu kennzeichnen
- Regelmäßiger Austausch der Sicherheitsbeauftragten untereinander sowie mit anderen Beschäftigten der Arbeitssicherheit und -medizin
Arbeiten an der Sicherheitswerkbank
Ortswechsel. Wir befinden uns im Labor für Biochemie und Systembiologie, nur wenige Kilometer Luftlinie von der Station 59 entfernt. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Sicherheitsbeauftragte Dr. Lisa Juliane Kahl erforscht hier Stoffwechselprozesse an Zellkulturen. „Wir experimentieren vor allem mit Mikroben der Risikogruppe 1 und 2. Unser Ziel ist es, herauszufinden, warum bestimmte Bakterien und Pilze den Einsatz von Antibiotika überstehen“, erzählt die junge Wissenschaftlerin. Sie und 15 weitere Laborantinnen und Laboranten arbeiten dafür abwechselnd an einer speziellen Sicherheitswerkbank, welche die Beschäftigten vor den infektiösen Mikroben wie dem Pilzstamm Candida albicans schützt.
Die Sicherheitswerkbank ähnelt einem Glaskasten. Darin befindet sich eine Arbeitsfläche. Die Laborantinnen und Laboranten sitzen vor dem Glas und greifen mit ihren Händen durch eine Öffnung, um an den Zellkulturen zu arbeiten.
Bevor Kahl und ihr Team an der Sicherheitswerkbank tätig werden, treffen sie spezielle Schutzvorkehrungen: „Zunächst ziehen wir Handschuhe an und desinfizieren die Arbeitsfläche. Dann betätigen wir die Lüftungsanlage der Sicherheitswerkbank. Die dabei erzeugte laminare Strömung verhindert das Austreten von Tröpfchen und Aerosolen“, geht die wissenschaftliche Mitarbeiterin die Schritte durch.
Tipps zum Weiterlesen
Die GESTIS-Biostoffdatenbank informiert zu mehr als 20.000 Biostoffen.
Die DGUV Information 207-024 behandelt ausführlich das Risiko Nadelstichverletzung
Probleme gemeinsam lösen
Bei den Vorgängen im Labor haben Sicherheitsbeauftragte wie sie immer ein wachsames Auge. „Wenn uns auffällt, dass zum Beispiel jemand Schutzmaßnahmen wie das Desinfizieren oder das Einschalten der Belüftung vergisst, dann ist es unsere Aufgabe, den Kollegen oder die Kollegin direkt anzusprechen und auf das Sicherheitsrisiko hinzuweisen.“, erläutert sie. Risiken und wie sie beseitigt werden können besprechen die Sicherheitsbeauftragten zudem im wöchentlichen Labormeeting.
Auch Kahl beteiligt sich gern aktiv an der Suche nach Lösungen: „Ich mag es, mir in meiner Rolle als Sicherheitsbeauftragte Gedanken zu machen, wie wir bestimmte Arbeitsschutzvorschriften bestmöglich umsetzen können. Es ist immer spannend, zu überlegen, wie wir Probleme im konkreten Kontext unseres Labors lösen.“ Albert Nienhaus von der BGW bestätigt: „Sicherheitsbeauftragte sind viel näher am Arbeitsplatz als die professionellen Arbeitsschützenden. Wenn etwas nicht funktioniert beim sicheren Umgang mit Biostoffen, können sie das oft viel früher entdecken.“
Jedes Details ist wichtig
Gleichzeitig ist es wichtig, dass Beschäftigte der Charité im stressigen Berufsalltag nicht betriebsblind werden. Das weiß auch Thomas Klotzkowski: „Man muss sich dem Thema Arbeitssicherheit immer wieder von Neuem stellen. Wenn wir hochansteckende Patientinnen und Patienten pflegen, zählt jedes Detail.“
Umso wichtiger, dass Sicherheitsbeauftragte Kolleginnen und Kollegen kontinuierlich für Gefahren sensibilisieren. „Regelmäßige Begehungen der Station helfen uns, einen frischen Blick zu bewahren und etwaige Sicherheitsrisiken zu erkennen“, sagt Klotzkowski weiter.
Trotz der ständigen Gefahr, sich zu infizieren, liebt er seinen Job. „Wir haben hier mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun. Das macht den Beruf extrem spannend. Die Dankbarkeit der Patientinnen und Patienten ist sehr erfüllend, selbst wenn es manchmal stressig ist.“