Link to header
Sicherheit durch Wissen schaffen
Der Sicherheitsbeauftragte Stefan Schlemmer arbeitet bei Ursa-Chemie in der Produktion und absolviert regelmäßig Hygiene-Schulungen © Ralph Sondermann

Arbeitssicherheit : Sicherheit durch Wissen schaffen

Unterweisungen und Schulungen zielen auf gesundes, sicheres Arbeiten ab. Das Unternehmen Ursa-Chemie setzt dabei auf Beteiligung und Kreativität.

Michael Müller macht es spannend. Zwar steht das Thema seiner Schulung gut sichtbar auf einer Tafel: „Fremdkörper im Produktionsbereich“. Doch welchen runden Gegenstand verbirgt der Co-Geschäftsführer der Ursa-Chemie da unter einem Tuch? Die vier Mitarbeiter, die jetzt am Tisch Platz nehmen, werden noch kurz auf die Folter gespannt. „Große Frage vorweg: Warum sind Fremdkörper ein Thema, das hier geschult werden muss?“, fragt Müller.

Statt auf eine Antwort zu warten, hebt er das Tuch etwas an, darunter ein großes Glas. „Greif doch mal hier rein.“ Der erste Mitarbeiter legt unter dem Kichern der anderen einen Schokoriegel auf den Tisch. Der nächste einen Plastikfinger. Es folgen eine kleine Schaufel, ein Spatel, Papierschnipsel, eine Messerklinge. „Okay, Schokoriegel und Finger waren nur ein Spaß“, sagt Müller. „Aber alle anderen Gegenstände haben wir schon mal bei uns in der Produktion gefunden. Und diese Schulung ist eine Maßnahme, um das zu verhindern.“

Lebendige Schulungen und Unterweisungen für einen gelungenen Arbeitsschutz

Strenge Hygiene- und Sicherheitsstandards sind bei Ursa-Chemie unverzichtbar. Der 1970 gegründete Chemie-Dienstleister produziert rund 750 Fertigprodukte, von Kosmetikzusätzen bis zu Dämpfungsflüssigkeiten – Fremdkörper in den Produkten sind unbedingt zu vermeiden. Spannend ist, wie Ursa-Chemie solche Schulungen gestaltet.

Zwar wird es in den nächsten 20 Minuten noch fachlicher – Müller thematisiert etwa die angepassten Fertigungsdokumente. Aber mit der kleinen Showeinlage hat er direkt für Aufmerksamkeit und Praxisnähe gesorgt: „Idealerweise gibt es immer einen Aha-Moment, von dem die Beschäftigten lange zehren.“ Ein Ziel, das in dem Betrieb mit seinen 70 Beschäftigten für Schulungen und Unterweisungen gleichermaßen gilt.

Bei der Unterweisung alle Sinne ansprechen

Visuell, interaktiv, unterhaltsam: Mit Videos, Spielen und anderen Medien ...

Kombitage mit Unterweisungen und Schulungen – verpflichtend für alle Mitarbeitenden

Rein rechtlich gibt es zwischen Unterweisungen und Schulungen zwar einen Unterschied: Regelmäßige Unterweisungen zu bestimmten Themen sind Pflicht. Schulungen können Betriebe optional anbieten. „Unsere Maßgabe ist: Wissen schützt. Deswegen unterweisen wir häufiger als vorgeschrieben mit jährlich zwei Unterweisungsblöcken. Und ergänzen diese Tage jeweils mit Schulungsthemen“, sagt Müller. Aufgeteilt in vier Blöcke mit je 20 Minuten.

An diesem Tag geht es um 12:30 Uhr los, alle vier Schulungs- und Unterweisungsthemen starten parallel. Damit es mit mehr als 20 Teilnehmenden nicht zu voll wird, werden Kleingruppen gebildet, die von Vortrag zu Vortrag wandern. Eine Herausforderung für die Schulungsleiter: Sie müssen ihr Thema jeweils viermal dozieren. „Diese Kombitage haben sich bewährt. Für die Beschäftigten bleibt es abwechslungsreich und es können mehrere Arbeitsschutzthemen in recht kurzer Zeit vermittelt werden“, so Müller.

Richtig unterweisen

Wann eine Unterweisung erfolgen muss:

  • vor Aufnahme der Tätigkeit
  • regelmäßig, mindestens einmal im Jahr
  • bei Änderung des Aufgabenbereichs
  • bei Einführung neuer Arbeitsmittel
  • nach Unfällen

Welche Themen Unterweisungen umfassen:

Unterweisungen behandeln die in der Gefährdungsbeurteilung ermittelten Risiken und Schutzmaßnahmen. Etwa:

  • Ergonomie an Bildschirmarbeitsplätzen
  • Sicherheit im Umgang mit Werkzeug, Maschinen und Anlagen
  • Sicherheit im Umgang mit Strom
  • psychische Belastung
  • Gefahrstoffe
  • persönliche Schutzausrüstung
  • betriebliche Hygiene
  • Brandschutz
  • Erste Hilfe

Was für Schulungen gilt:

  • Schulungen, ob zu Arbeitssicherheit oder mit anderen Inhalten, können Betriebe optional durchführen
  • Themen, Zeitpunkt und ­Häufigkeit sind frei wählbar

Arbeitsschutz wird im Betrieb großgeschrieben – auch im Alltag

Der Stellenwert von Arbeitsschutz lässt sich auch beim Gang durch den Betrieb ablesen. Da sind die Schilder an allen Treppen, die erinnern: „Handlauf benutzen“. Oder die vielen Plakate mit Hinweisen zu Gefahrstoffen oder Erster Hilfe. Im Lager transportieren Gabelstapler brennbare oder ätzende Flüssigkeiten in großen Fässern. Sollte eines der Fässer auslaufen, ist sofortiges Handeln gefragt – und somit das Wissen aus Unterweisungen zu Erster Hilfe und zu Gefahrstoffen gleichermaßen.

Weiter geht es eine Metalltreppe hoch in die Produktion. Hier werden chemische Stoffe in großen Anlagen verarbeitet. Als ein Mitarbeiter einen Kessel öffnet und sich darüber beugt, kommt die Erinnerung an die Fremdkörperschulung: „Achtet darauf, was ihr in den Taschen habt und am Körper tragt“, hatte Müller gewarnt. Ein Stift in der Brusttasche könnte hier unbemerkt in den Kessel fallen.

Schulungsleiter Rüdiger Dung nutzt Gegenstände aus dem Labor für seine kreative Wissensvermittlung. © Ralph Sondermann

Ein Gebäude weiter, im Labor, startet Rüdiger Dung mit der Pflichtunterweisung „Umgang mit brennbaren Flüssigkeiten“. Neben einem Laboranten und zwei Lageristen ist auch eine Verwaltungsmitarbeiterin unter den Zuhörenden. Dung selbst ist Chemielaborant und schon seit 1985 im Betrieb, seit 1996 ist er Sicherheitsbeauftragter. Er hat einen kleinen Versuchsaufbau drapiert. In einem mit Flüssigkeit gefüllten Messbecher steckt ein Tauchsieder. „Was an diesem Aufbau ist nicht ideal?“, fragt Dung.

Die Lösung ist schnell gefunden: Eine brennbare Flüssigkeit mit einem Tauchsieder zu erwärmen ist gefährlich. Auf Flammen und Brodeln verzichtet Dung heute – aber auch er greift hin und wieder in die Trickkiste: „Ich habe mal an einem Stück Fleischwurst verbildlicht, was Schwefelsäure anrichten kann. Oder zwei Reiniger zusammengekippt, um die Gefahren gängiger Haushaltsmittel zu zeigen. Das hat ordentlich aus dem Abfluss gespritzt.“

Die Schulungsleiter sind mit vollem Einsatz dabei

Dass Schulungen und Unterweisungen von Sicherheitsbeauftragten durchgeführt werden, wie im Fall von Rüdiger Dung, ist eher die Ausnahme. Er hat eine Doppelrolle und ist seit einigen Jahren Qualitätsleiter im Labor. Dass er trotz dieser verantwortungsvollen Position Sicherheitsbeauftragter geblieben ist, wurde zusammen mit der Geschäftsführung ausnahmsweise so entschieden. Insgesamt hat der Betrieb sieben Sicherheitsbeauftragte, deutlich mehr als vorgeschrieben.

Hinweise für mögliche Schulungsthemen können auch sie geben. Etwa bei der vierteljährlichen Sitzung nur für die Sicherheitsbeauftragten, die bei Ursa-Chemie etabliert wurde. „Hier besprechen wir, was uns in unseren Abteilungen aufgefallen ist. Das wird in den Arbeitsschutzausschuss weitergetragen“, sagt der Sicherheitsbeauftragte und Produktionsmitarbeiter Stefan Schlemmer.

Als Teilnehmer der Schulungen und Unterweisungen kann er außerdem überprüfen, ob das Gelernte im Alltag auch genutzt wird. Und wie zufrieden die Beschäftigten sind. „Die Schulungsleiter sind immer mit vollem Einsatz dabei, das kommt gut an“, so Schlemmer. „Aber natürlich ist auch mal jemand gelangweilt.“

Stefan Schlemmer kann als Sicherheitsbeauftragter prüfen, ob das Schulungswissen im Alltag auch genutzt wird. © Ralph Sondermann

Diese Erfahrung musste auch Co-Geschäftsführer Michael Müller schon machen. „Ich kam frisch von der Uni und habe zum Thema Hautschutz unterwiesen. Und bin mit einer umfassenden Erläuterung aller Hautschichten eingestiegen. Da sind die ersten schon ausgestiegen.“ Rüdiger Dung ergänzt: „Die Beschäftigten haben ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Jedes Thema muss so vermittelt werden, dass alle es verstehen.“

Ebenfalls herausfordernd sind die regelmäßig wiederkehrenden Unterweisungsthemen. „Man kann sich nicht jedes Mal komplett neu erfinden“, räumt Dung ein. „Im Labor kann ich immer mit kleinen Versuchen arbeiten. Das ist beim Thema Abwässer schon schwieriger.“ Entsprechend findet diese Schulung sowie die Unterweisung zu CMR-Stoffen (= krebserregend, mutagen, reproduktionstoxisch) heute ohne kreative Hilfsmittel statt. Die Dozenten zeigen eine Präsentation.

Wer darf unterweisen und schulen?

Gesetzliche Vorgaben

  • Die Pflicht zum Unterweisen liegt immer bei den Arbeitgebenden.
  • Sie können aber auch andere Personen mit der Unterweisung beauftragen, die über entsprechende Fachkenntnis verfügen – laut Arbeitsschutzgesetz.
  • Was genau diese Fachkenntnis/Qualifikation umfasst, müssen Arbeitgebende im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung selbst festlegen.
  • In der Regel sind eine fachliche Ausbildung/ein Studium/ein Meisterbrief sowie Arbeitserfahrung zum Thema ausschlaggebend.

Das wird empfohlen

  • Dozierende sollten Bildungsangebote der zuständigen Unfallkasse/Berufsgenossenschaft nutzen.
  • Denn: Um anschaulich zu unterweisen oder zu schulen, sind didaktische Grundkenntnisse hilfreich.
  • Für optionale Schulungen gelten diese Empfehlungen ebenfalls; gesetzliche Vorgaben gibt es nicht

Klicktipp: Verhaltensprävention durch Unterweisungen verbessern

Wichtige Faktoren: Beschäftigte beteiligen und Feedback einholen

Damit die Beschäftigten trotzdem am Ball bleiben, ist Beteiligung wichtig. Bei Ursa-Chemie stellen alle Dozenten den Teilnehmenden direkte Fragen: „Kennt ihr auch …?“, „Warum sollten wir …?“, „Wer hat schon mal …?“. Und es gibt am Ende eine große Feedbackrunde. Dafür versammeln sich noch mal alle in der Kantine. Hier wurde bereits ein Buffet aufgebaut.

Brötchen, Käse und eine große Portion Mett. Doch vor dem Essen wird ein Wissens- und Feedbackbogen ausgefüllt. „Wir stellen Fragen zu allen vier Lerneinheiten, um zu sehen, was hängen geblieben ist“, sagt Gebhard Linscheid. Als Fachkraft für Arbeitssicherheit ist auch er heute in die Organisation des Tages involviert. Das Ganze läuft anonym, ebenso das Feedback, bei dem die Beschäftigten die Dozierenden bewerten können.

In der großen Feedbackrunde füllen alle Teilnehmenden Wissens- und Fragebögen aus. © Ralph Sondermann

Und noch etwas wird bei Ursa-Chemie an den Schulungs- und Unterweisungstagen beschworen: der Teamgeist. Heute mit dem gemeinsamen Essen, an dem auch beide Geschäftsführer teilnehmen. „Wir haben auch schon mal einen sportlichen Dreikampf veranstaltet“, sagt Linscheid.

Oder einen Samba-Workshop, bei dem ein Stück mit verschiedenen Instrumenten einstudiert wurde. „Das hat allen Spaß gemacht und gleichzeitig vermittelt: Nur wenn wir aufeinander achten und hören, wo es noch hakt, kommt am Ende ein harmonischer gemeinsamer Klang heraus.“