Gesundheitsschutz : Allergien und Insektenstiche: Folgen des Klimawandels
Mal ein Mückenstich – das gehört beim Arbeiten im Freien doch dazu. Und Heuschnupfen? Davon waren bisher ja nur ein paar Kolleginnen und Kollegen betroffen – ist nicht die zunehmende Hitze ein viel größeres Problem? So könnten die Reaktionen mancher Beschäftigter ausfallen, wenn vor Insektenstich- und Allergierisiken infolge des Klimawandels gewarnt wird.
Doch auch diese neuen Gefährdungen müssen in den Fokus des betrieblichen Gesundheitsschutzes rücken. Unter anderem wird das Risiko schwerer Erkrankungen durch Mücken- und Zeckenstiche deutlich steigen. Fachleute prognostizieren außerdem, dass die Allergiesaison künftig länger und intensiver ausfallen dürfte – und Menschen länger und stärker unter allergischen Symptomen leiden werden. Verantwortliche sollten daher frühzeitig reagieren und Beschäftigte gezielt schützen. Dabei können auch Sicherheitsbeauftragte eine wichtige Rolle spielen.
Schon jetzt haben allergische Erkrankungen ein „epidemisches Ausmaß“ erreicht, sagt Prof. Dr. Monika Raulf, Abteilungsleiterin des Kompetenz- Zentrums Allergologie/Immunologie am Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA). Denn der Klimawandel „beeinflusst Auftreten, Häufigkeit und Schwere allergischer Erkrankungen“, heißt es im „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit 2023“ des Robert Koch-Instituts (RKI).
Längere Wärmeperioden und jahreszeitlich verschobene Niederschläge verlängern die Blühzeiten und somit die Pollensaison. „Auch die steigende CO₂-Konzentration kann die Pflanzenproduktivität und die Pollenmenge erhöhen“, erläutert Raulf. „Zudem kann Klimastress, etwa durch Wassermangel, das allergene Potenzial der Pollen verändern.“ In der Folge werden mehr Allergene freigesetzt, und Allergiker und Allergikerinnen können stärker betroffen sein.
Risiken und Folgen der globalen Erwärmung
- Globale Erwärmung
Der Klimawandel äußert sich in der zunehmenden Aufheizung der Atmosphäre – verantwortlich ist insbesondere der hohe CO₂-Ausstoß der Industrieländer. - Pollen
Längere Wärmeperioden dehnen die Pollensaison aus; bisher nicht heimische Pflanzen schaffen zudem neue Allergenquellen. - Mücken/Zecken
Wärmeliebende Insekten wie Mücken und Zecken vermehren sich stärker; neue Arten werden in Europa heimisch. - Allergien
Mehr Menschen entwickeln neue Allergien; Erkrankungen wie Heuschnupfen fallen länger und intensiver aus. - Krankheiten
Mehr Menschen werden gestochen, Erkrankungen wie Borreliose und FSME häufen sich; auch neue Krankheitserreger können übertragen werden. - Beschäftigte schützen
Mehr Erkrankungen und Allergiesymptome führen zu mehr Personalausfällen; Betriebe müssen präventive Maßnahmen ergreifen.
Sicherheitsbeauftragte sollten Allergie-Symptome kennen
Verschlimmern oder verändern sich bekannte Symptome oder treten sie zum ersten Mal auf, ist schnelles Handeln gefragt, denn: „Werden allergische Symptome nicht richtig erkannt und behandelt, können sie zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis hin zu Personalausfällen führen“, sagt Raulf. Daher müssen auch die neuen oder veränderten Risiken in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt und entsprechende Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Verantwortlich dafür sind die Arbeitgebenden. Auch Sicherheitsbeauftragte sollten sich mit den Maßnahmen vertraut machen und mit darauf achten, dass diese auch eingehalten werden.
Raulf rät, Beschäftigte mit Allergien auch unabhängig vom Arbeitsplatz zu Schutz- und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. Dabei kann etwa der betriebsärztliche Dienst unterstützen. Sicherheitsbeauftragte können hier durch den direkten Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen eine vermittelnde Rolle übernehmen. Bemerken sie allergische Symptome wie häufiges Niesen oder tränende Augen oder erfahren in persönlichen Gesprächen von allergischen Beschwerden, können sie die Betroffenen gezielt ansprechen – und auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Beratung hinweisen.
Eine aktuelle Studie der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) weist übrigens darauf hin, dass auch das Tragen sogenannter Corona-Masken – also etwa FFP2-Masken – die allergischen Symptome abmildern könne. Raulf hält es für plausibel, dass die Masken die meist an Staubpartikel gebundenen Allergene abfangen, bevor sie auf die Schleimhäute treffen. „Die Akzeptanz solcher Maßnahmen ist allerdings erfahrungsgemäß gering.“
Gut zu wissen: Infos zum Pollenflug
Betriebe sollten Beschäftigte mit allergischen Erkrankungen unterstützen und sich über den Pollenflug informieren bzw. betroffene Beschäftigte auf entsprechende Online-Angebote hinweisen. Idealerweise werden Arbeitszeiten, insbesondere draußen, entsprechend angepasst.
Klicktipp: Informationen zum Pollenflug gibt es z.B. bei der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.
Bei Allergien im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz sollten zwei Formen beachtet werden, so Expertin Raulf. So müssen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung neben Allergien durch Umweltallergene wie Haselpollen auch die Berufsallergene berücksichtigt werden, die spezifisch an Arbeitsplätzen vorkommen. „Dazu gehört etwa der Pilz Cryptostroma corticale, der bei Ahornbäumen die Rußrindenkrankheit hervorruft und auch von den Klimaveränderungen profitiert. Beschäftigte können während der Holzfällung einschließlich Holzbe- und -verarbeitung gesundheitliche Beschwerden entwickeln.“
Mehr Insektenstiche aufgrund längerer Wärmeperioden
Ausschlaggebend für die neuen Gesundheitsgefahren sind die durch den Klimawandel bedingten längeren Wärmeperioden. Für viele Insekten sind das ideale Bedingungen: „So gehören beispielsweise Zecken, die wärmere Lufttemperaturen bevorzugen, zu den Profiteuren des Klimawandels“, sagt Raulf. „Zecken übertragen nicht nur Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Sie können auch Sensibilisierungen induzieren.“ Durch den Zeckenstich übertragene Stoffe können also Allergien auslösen.
Ebenso werden neue Mückenarten in Deutschland heimisch, etwa die Asiatische Tigermücke. Sie kann Chikungunya- (CHIKV) und Zika-Viren (ZIKV) übertragen. Zikavirus-Infektionen können laut RKI bei Schwangeren zu Fehlbildungen beim Fötus führen. Mit dem Chikungunya-Fieber können starke, teils Monate anhaltende Muskel- und Gliederschmerzen einhergehen, heißt es beim Umweltbundesamt.
Gut zu wissen: Klimarisiken und Gefährdungsbeurteilung
Neue oder veränderte Risiken infolge des Klimawandels müssen in der Gefährdungsbeurteilung erfasst und kontinuierlich aktualisiert werden.
Risiken ermitteln und bewerten: Welche Beschäftigten sind besonders von Allergien und/oder Insektenstichen betroffen oder werden es künftig sein?
Schutzmaßnahmen nach dem STOP-Prinzip ableiten: Substitution vor technischen vor organisatorischen vor personenbezogenen Maßnahmen
Substitution: z. B. Tätigkeiten nach drinnen verlagern oder Outdoor-Arbeit nach Pollensaison richten
Technische Maßnahmen: z. B. maschinelle, geschlossene Verfahren anwenden, etwa bei Arbeiten mit von der Rußrindenkrankheit befallenen Bäumen
Organisatorische Maßnahmen: z. B. Verantwortliche weiterbilden, Beschäftigte unterweisen
Personenbezogene Maßnahmen: z. B. schützende Kleidung tragen, Insektenschutzspray verwenden, Atemschutz tragen, symptomatische Medikamente einnehmen (nur auf ärztliche Empfehlung)
Klicktipp: Wie man Zeckenstichen vorbeugen kann.
Schutzmaßnahmen etablieren und Bewusstsein schaffen
Umso relevanter ist Prävention. Gegen FSME kann man sich impfen lassen, gegen Borreliose, CHIKV und ZIKV bislang noch nicht. „Deshalb müssen Risikogruppen weitere Schutzmaßnahmen ergreifen“, betont Monika Raulf. Sicherheitsbeauftragte sollten hier besonders Kolleginnen und Kollegen im Blick haben, die viel im Freien arbeiten. Als wichtigste Maßnahme gilt schützende Kleidung, die alle Körperteile bestmöglich abdeckt, damit Zecken beispielsweise nicht in die Lücke zwischen Schuh und Hose krabbeln können. Zusätzlich kann Insektenschutzspray verwendet werden. Welche konkreten Maßnahmen umgesetzt werden und welche Mittel Arbeitgebende bereitstellen müssen, ergibt sich aus der Gefährdungsbeurteilung.
Wichtig ist, neue oder sich verändernde Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel frühzeitig zu thematisieren. Dabei unterstützen auch die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit Informationen und Beratung. Über gezielte Qualifizierung von Verantwortlichen fließt relevantes Wissen zudem zunehmend in die Betriebe ein. Grundsätzlich gilt es, ein Bewusstsein auf allen Ebenen des Arbeitsschutzes zu schaffen, betont Raulf, „denn die Folgen des Klimawandels betreffen nicht nur den Eisbären in der Arktis, sondern uns alle in den unterschiedlichen Bereichen.